Niemand hat Falcone vergessen

Italien ist entsetzt über ein Urteil des Frankfurter Landgerichts, das Mafia-Folklore gutheißt.

Von Petra Reski, Venedig


Die Frank­fur­ter Pizze­ria „Falco­ne&Borsel­li­no“ wirbt mit Einschuss­lö­chern, dem Foto der beiden ermor­de­ten sizi­lia­ni­schen Mafia-Ermitt­ler Giovan­ni Falco­ne und Paolo Borsel­li­no neben dem Bild des Paten für ihre knusp­ri­gen Pizzen. Das ist die eine Sache.

 

 

Die andere Sache ist, dass Maria Falco­ne, die Schwes­ter des ermor­de­ten Anti-Mafia-Staats­an­walts, gegen die Besu­de­lung des Anse­hens zweier Männer, die ihr Leben im Kampf gegen die Mafia geop­fert haben, vor dem Land­ge­richt Frank­furt klagt – und verliert: „Die Klage ist unbe­grün­det“, urteil­ten die Frank­fur­ter Rich­ter am 25. Novem­ber, wie jetzt bekannt­ wur­de. Der Schutz des Andenkens an Giovan­ni Falco­ne sei acht­und­zwan­zig Jahre nach seinem Tod prak­tisch verwirkt, und die Namen von Falco­ne und Borsel­li­no seien in Deutsch­land nur „Straf­ver­fol­gern und Krimi­no­lo­gen“ bekannt, nicht aber Perso­nen, die Restau­rants besuch­ten, lautet die Begründung.

 

Vor fast drei­ßig Jahren habe das Thema „Kampf gegen die Mafia“ im Fokus der Öffent­lich­keit gestan­den, dies sei heute nicht mehr der Fall. „Bei der Beur­tei­lung ist auch zu berück­sich­ti­gen, dass die Lebens­leis­tung von Giovan­ni Falco­ne vorran­gig in Itali­en ange­sie­delt ist“, schrei­ben die Rich­ter. Die Aussa­gen der Frank­fur­ter Rich­ter haben in Itali­en einen Sturm der Entrüs­tung auslöst.

 

Die italie­ni­sche Botschaft schreibt eine Protest­no­te, der Präsi­dent der parla­men­ta­ri­schen Anti-Mafia-Kommis­si­on rügt, dass man in Deutsch­land mit Blind­heit geschla­gen und die Bedeu­tung der Duis­bur­ger Mafia-Atten­ta­te wohl immer noch nicht umris­sen habe. Der Justiz­mi­nis­ter kündigt an, seiner deut­schen Amts­kol­le­gin Chris­ti­ne Lambrecht zu schrei­ben, um ihr die verhee­ren­den kultu­rel­len Auswir­kun­gen dieses Urteils klar­zu­ma­chen. Der italie­ni­sche Außen­mi­nis­ter sagt, die Mafia sei kein Spiel, sondern ein „Haufen Schei­ße“, was – genau genom­men – ein Ausspruch des 1978 von der Mafia ermor­de­ten Anti-Mafia-Kämp­fers Peppi­no Impasta­to ist. Die gesam­te italie­ni­sche Presse jegli­cher Couleur zeigt sich entsetzt über die Frank­fur­ter Rich­ter, und der natio­na­le Rich­ter­ver­band hat sich in einer schrift­li­chen Stel­lung­nah­me empört gezeigt über die Frank­fur­ter Kollegen.

 

Dass die Mafia global agiert und in Deutsch­land seit den sech­zi­ger Jahren zu Hause ist, scheint sich bis zum Land­ge­richt Frank­furt noch nicht herum­ge­spro­chen zu haben – wenn die Rich­ter den „Kampf gegen die Mafia“ als ad acta gelegt betrach­ten. Spek­ta­ku­lä­re Ermitt­lun­gen sind offen­bar an ihnen vorbei­ge­gan­gen, nicht zuletzt die länder­über­grei­fen­de „Opera­ti­on Styx“ im Jahr 2018, bei welcher der Clan der kala­bri­schen Farao-Marinco­la und seine Frank­fur­ter Restau­rants eine tragen­de Rolle spiel­ten. Am Ende stellt sich die Frage, ob der norma­le deut­sche Pizze­ria­be­su­cher nicht viel­leicht sogar über ein größe­res Allge­mein­wis­sen verfügt als die Rich­ter des Land­ge­richts Frankfurt.

 

Wenn angeb­lich niemand mehr die Namen von Falco­ne und Borsel­li­no kennt, warum wird dann eine Pizze­ria nach ihnen benannt, fragt Maria Falco­ne. Leider war das weder von dem Inha­ber der Pizze­ria, zu erfah­ren, noch von einem ominö­sen „Salva­to­re“, der im Impres­sum ohne Nach­na­men als Geschäfts­lei­ter aufge­führt ist. Obwohl gela­den, erschien der Inhaber auch nicht vor Gericht. Nach­fra­gen wurden nicht beant­wor­tet. Und so war es uns auch nicht vergönnt, zu erfah­ren, wie es zu der Entschei­dung kam, den Online-Auftritt der Pizze­ria mit Einschuss­lö­chern und dem Foto von Vito Corleo­ne aus dem „Paten“ zu schmü­cken, oder warum die Menüs „Patro­ne&Ich“ heißen und „Falco­ne&Borsel­li­no“ („1xPiz­za­Fal­co­ne+1xPiz­za Borsel­li­no+Eine Flasche Rotwein“).

 

 

Frei­lich gibt es bereits Urtei­le etwa des Euro­päi­schen Gerichts­hofs gegen die spani­sche Restau­rant­ket­te „La Mafia se sienta a la mesa“ (Die Mafia sitzt bei Tisch), die in ihren fast fünf­zig Loka­len mit Sprü­chen wie „Fami­li­en­zu­sam­men­halt wie in Corleo­ne“ und Sépa­rées mit „allem Nütz­li­chen für eine authen­ti­sche Mafia-Versamm­lung“ zu werben pflegt. Der Euro­päi­sche Gerichts­hof stell­te fest, dass die Marke „La Mafia se sienta a la mesa“ gegen die öffent­li­che Ordnung versto­ße und erließ 2018 das Verbot, die Marke zu nutzen: Es dürfe kein wirt­schaft­li­cher Nutzen aus einem Namen gezo­gen werden, der die syste­ma­ti­sche Anwen­dung von Terror und Gewalt feiere und die Grund­sät­ze des fried­li­chen und demo­kra­ti­schen Zusam­men­le­bens verlet­ze, urteil­ten die Rich­ter.

Dessen unge­ach­tet nutzt die spani­sche Gesell­schaft „La Mafia Fran­chises“ weiter­hin die „Marke“ Mafia und bietet Arbeits­plät­ze an mit dem Satz „Wollen Sie in der Mafia arbei­ten? Kommen Sie zur Familie!“.

 

 

Obwohl es immer wieder zu Protes­ten kommt – in Wien bot ein „Don Panino“ Pizza, Pasta und beleg­te Brote mit Namen von Mafia-Opfern an, bis es nach inter­na­tio­na­lem Protest geschlos­sen wurde – setzen nicht nur Restau­rants auf eine Verkaufs­stra­te­gie, die aus als Mafia-Folk­lo­re getarn­ter Mafia-Propa­gan­da besteht: In Thürin­gen wird der „Fernet Mafio­so“ herge­stellt, und nach­ge­ra­de legen­där ist der Erfolg der von einem kala­bri­schen Foto­gra­fen in Deutsch­land vertrie­be­nen Mafia­mu­sik, die in ihren Texten auf Italie­nisch und auf Deutsch unter ande­rem die Ermor­dung von Paler­mos Poli­zei­prä­fek­ten Dalla Chiesa feiert: „Getö­tet ist der Gene­ral/ Getö­tet ist der Präfekt von Paler­mo/Ihm blieb nicht mal Zeit für das letzte Gebet“.

 

Der „Spie­gel“ enga­gier­te den Mafia­mu­sik-Produ­zen­ten sogar als freien Mitar­bei­ter und rühmte in einem Edito­ri­al, dass er das „Vertrau­en mancher Mafio­si“ genie­ße. Derart legi­ti­miert gelang es ihm, seine Mafia­mu­sik in Berlin im Haus der Kultu­ren vorzu­stel­len, das vom deut­schen Außen­mi­nis­te­ri­um verwal­tet und finan­ziert wird. Und wäre der Mafia­mu­sik-Produ­zent nicht irgend­wann in das Anti-Mafia-Museum in Reggio Cala­bria einge­drun­gen, wofür er wegen Belei­di­gung, Bedro­hung und Verleum­dung verur­teilt wurde, würde er seine Mafia-Folk­lo­re in Deutsch­land wahr­schein­lich immer noch verkaufen.

 

Dass Mafia-Folk­lo­re nichts als Mafia­pro­pa­gan­da ist, müsste auch Frank­fur­ter Rich­tern einleuch­ten. Oder was würde man in Deutsch­land sagen, wenn ein Restau­rant­be­trei­ber in Itali­en auf die Idee käme, ein Sieg­fried-Buback-Brau­haus mit deut­scher Küche zu eröff­nen und mit einem entspre­chen­den Werbe­slo­gan feine Sauer­kraut­spe­zia­li­tä­ten anzupreisen?

Maria Falco­nes Anwäl­te haben ange­kün­digt, gegen das Urteil Beru­fung einzulegen.

 

Petra Reski lebt als Auto­rin in Venedig.

Zuletzt erschien von ihr 2018 im Reclam Verlag „Mafia. 100 Seiten“Dieser Artikel erschien am 8. Dezember in der FAZ.  

Und was danach geschah

Wie italienische Medien und auch die FAZ im Anschluss vermeldeten, hat sich eine Pratolina GmbH als Inhaber des Restaurants „Falcone&Borsellino“  in einem offenen Brief an die italienische Botschaft  gewendet, in dem sie ihr Bedauern darüber ausgedrückt, die Gefühle der Angehörigen von Giovanni Falcone und der Opfer der Mafia verletzt zu haben und ankündigt, nunmehr auf den Namen Falcone&Borsellino zu verzichten. 

Allerdings ist das zumindest im Netz bis zum heutigen Tag nicht geschehen. Denn da lebt die Pizzeria immer noch samt Einschusslöchern, Paten-Portraits und Spezialmenüs unter dem Namen Falcone&Borsellino weiter : 

Interessant an dem Brief an den Botschafter ist nicht nur, dass er keine Unterschrift enthält, sondern auch die Begründung, warum man die Pizzeria mit Einschusslöchern, dem Bild des Paten und den Namen von Falcone&Borsellino schmücken wollte:

„… haben wir uns dazu entschieden, Polizistinnen und Polizisten sowie allen anderen Ersthelfern und Einsatzkräften als Zeichen des Respekts und Anerkennung diesen wichtigen Mitgliedern unserer Gemeinschaft ein vergünstigtes Essen anzubieten.“ 

Ach so … war das gedacht. Nichts als eine edle Geste! Billiges Essen für Polizisten unter dem strengen Blick des Paten, klar. 

Auf jeden Fall sind die Besitzverhältnisse der Pizzeria ständig in Bewegung: Erst gehörte die Pizzeria einer Atelier Wilma GmbH, dann einer FB Gaststättenbetriebs UG und jetzt Pratolina, die wiederum Gesellschafterin des FB Gaststättenbetriebs ist. Dass die Pizzeria, wie mir eine vorbeijoggende FAZ-Leserin per Foto mitgeteilt hat, jetzt „Da Nicola“ heißt, deren angegebene Webadresse nicht existiert und als Inhaber des für die 


Neueröffnung angeführten Team  von „Cimino Schwarzwaldstraße Niederrad“ einen „Max Mustermann“ anführt, ist nur ein Detail am Rande.

Der andere Erkenntnisgewinn dank der aufmerksamen Leser der FAZ war für mich der Hintergrund der der spanischen Restaurantkette „La Mafia se sienta a la mensa“ – die ich vor fünf Jahren  in Augenschein nehmen konnte.

Wie ein Patentanwalt und ein Jurist bemerkten, hat anders als ich in meinem FAZ-Artikel schrieb, nicht der Europäische Gerichtshof (EuGH) das Urteil gefällt, sondern die untergeordnete Eingangsinstanz, das Gericht der Europäischen Union. Und mit der Entscheidung wurde nicht die Verwendung der Marke „La Mafia se Siesta a la mensa“ (Die Mafia setzt sich zu Tisch) verboten, sondern die Markeneintragung vom EUIPO (dem in Alicante ansässigen Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum) für nichtig erklärt – und damit der (europäische!) Markenschutz versagt, wegen des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung und wegen Sittenwidrigkeit. 

(Die Vorgeschichte: Im Jahr 2006 hat die spanische Gesellschaft La Honorable Hermandad (deren Rechtsnachfolgerin La Mafia Franchises ist) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) einen Antrag auf Eintragung der Marke „La Mafia se sienta a la mensa“ gestellt. Im Jahr 2015 hat Italien beim EUIPO einen Antrag auf Nichtigerklärung dieser Marke gestellt, den es damit begründet hatte, dass die Marke gegen die öffentliche Ordnung und gegen die guten Sitten verstoße. Diesem Antrag war vom EUIPO stattgegeben worden. Gegen diese Entscheidung hat der Betreiber geklagt – und diese Klage verloren.)

Aber. Das hindert „La Mafia se sienta a la mensa“ nicht daran, die Marke in Spanien zu verwenden. Weil das europäische Amt für geistiges Eigentum zwar den Markenschutz versagen kann, nicht aber dafür zuständig ist, eine Marke zu verbieten. 

Um ein Verbot der Marke zu erreichen, müsste jemand in Spanien gegen den Gebrauch dieser Marke beim spanischen Markenamt klagen. 

Sie finden das … komisch? Ich auch.

Und deshalb hätte ich auch nie zur Juristin getaugt. 

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