Mensch, Perry.

Im Dezember ist der STERN-Fotograf Perry Kretz gestorben. In meiner kurzen Zeit als Reporterin im Auslandsressort des STERN, als ich zuständig war für kommunistische Regime im November, afrikanische Bürgerkriege und Katastrophen, die an Feiertagen stattfanden, sah ich Perry eigentlich nur, wenn er zwischen zwei Aufträgen im Auslandsressort herumhing und versuchte, unserer Sekretärin Gisela auf die Nerven zu gehen.

Ein einziges Mal war es mir vergönnt, mit Perry zu arbeiten, der Eindruck war bleibend, auch weil wir uns in der Spätphase des goldenen Zeitalters des Journalismus befanden, wo es üblich war, ein Privatflugzeug zu chartern, wenn es schnell gehen musste. Die Cessna, in der ich mit Perry Kretz nach Aberdeen flog, weil da eine Ölbohrinsel in die Luft gegangen war, hatte Wurzelholzfurnier und weiße Ledersessel, an Bord wurde gleich nach dem Start Mumm-Sekt serviert. Wir flogen zu fünft: Zwei Fotografen und drei Schreiber. Ich befand mich am unteren Ende der Rangordnung. Und bekam eine vage Ahnung von dem, was mich erwartete, als Perry im Holiday Inn, wo wir nicht schnell genug einchecken konnten, polternd seine Fototasche abwarf, sich zu dem Mädchen an der Rezeption beugte, mit ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger auf seine Augen deutete und sagte: Listen to me, darling, we are not on holidays here.

Werde Perry nie vergessen. Sein englisches Kölsch nicht und seinen dicken goldenen Ring, sein goldenes Armband, seine goldene Halskette – und ja, auch nicht sein goldenes Herz.

Mein ehemaliger Kollege und langjähriger Auslandsressortchef Hans-Hermann Klare hat einen schönen Nachruf auf Perry geschrieben:

Wer dem Fotografen Perry Kretz beim stern begegnete, hielt ihn eher für fehl am Platz. Er liebte das Militär mit seinen klaren Hierarchien und war doch Teil einer meist linksliberalen Journalisten-Truppe von Pazifisten und Kriegsdienstverweigerern. Manchen in der Redaktion irritierte die Begeisterung, mit der er in Krieg, Bürgerkrieg, Bandenkrieg und Drogenkrieg zog, sobald sich ihm die Gelegenheit dazu bot. Zugleich schauderten sie bei dem Gedanken, sie selbst hätten dort recherchieren oder fotografieren müssen. Denn die Bilder, die Perry Kretz von dort ins ferne Hamburg schickte, waren dazu angetan, einem Betrachter jede Lust an solcher Gewalt auszutreiben.

Und noch etwas anderes machte ihn in dieser norddeutschen Umgebung zum Außenseiter: Auch nach Jahrzehnten hatte er den kölnischen Tonfall seiner Kindheit beibehalten, obwohl er schon bald nach dem Zweiten Weltkriegamerikanischer Staatsbürger geworden war. Selbst sein Englisch besaß diese leichte rheinische Färbung.

Erst im vergangenen Jahr ist „PERRYWORLD“ erschienen, ein Buch über die Arbeit des damals 86-Jährigen. Auf 120 Seiten fasst es sein Lebenswerk zusammen: Darin befinden sich Bilder von Soldaten, die martialisch in die Schlacht ziehen, und solchen, die sich noch in Kampfmontur mit jungen Bikini-Frauen am Strand in Vietnam vergnügen. Dort sieht man das Porträt einer junger Guerilla-Frau, die mit ihrem Sturmgewehr posiert, als mache sie erst das so richtig attraktiv. Leichen verwesen auf den Fotos achtlos am Straßenrand, Gefangene hocken stundenlang gefesselt in der gleißenden Sonne. Wir sehen eine Street-Gang in New York und die Straßenkinder von Bogota. Von Polizisten auf dem Bürgersteig zusammengetrieben, liegen sie neben- und übereinander wie der Müll, der zum Abholen bereit ist.

 

Fotos von Marilyn Monroe und Gina Lollobrigida

Perry Kretz war dabei, als einer der gefürchtetsten Paten von New York im feinen Anzug und Handschellen abgeführt wird. Er besuchte die jungen Männer in den Todeszellen der USA oder baskische Mitglieder der ETA, wie sie beim Guerilla-Training in den Bergen Nordspaniens das Erschießen von Polizisten übten. Und dann und wann fotografierte er auch mal Marilyn Monroe oder Gina Lollobrigida.

Die Fotos von Perry Kretz sind weniger einfühlsam als entschlüsselnd oder manchmal auch entlarvend. Sie zeugen nicht von der Hingabe an ästhetische Konzepte, sondern von der Hartnäckigkeit ihres Produzenten. Um zum Ziel, zum Foto zu gelangen, war Perry Kretz nahezu jedes Mittel recht, wie groß der Widerstand von Generälen oder Gangstern auch sein mochte.

So entstanden im Laufe seines Lebens Bilder, die andere nie bekommen hätten: Vom nicaraguanischen Diktator Somoza etwa, morgens bei Liegestützen, als könne er sich so gegen die nahende Revolution noch wappnen. Oder Fotos aus dem US-Gefängnis Guantanamo mit Häftlingen, obwohl zu jenem Zeitpunkt noch jedes Bild eines Strafgefangenen streng verboten war.

 

1953 erhielt Perry Kretz die Green Card

Wer die Lebensgeschichte von Perry Kretz kennt, entdeckt in seinen Bildern ihre journalistische Fortsetzung: Denn der 17-Jährige war 1950 nach Amerika ausgewandert, nachdem er seine Familie im zerstörten Köln mit Schwarzmarkt-Geschäften über Wasser gehalten hatte. In New York wurde er in eine Gang von Puertoricanern aufgenommen, welche die kleinen Geschäftsleute ihres Viertels um Schutzgeld erpressten. Er war bald darauf Bote der Mafia bei illegalen Wetten. 

Mit der Green Card, der offiziellen Arbeitserlaubnis, erhielt er 1953 den Einberufungsbefehl und wurde nach einigen Monaten Grundausbildung in den Korea-Krieg geschickt. Die US-Staatsbürgerschaft, Belohnung für den Kriegseinsatz, war sein Ticket in die US-Gesellschaft. 

Bei der Armee hatte er gelernt, mit einer Kamera umzugehen. In New York bekam er einen Job im Morddezernat der Stadt. Im Schichtdienst mit anderen Fotografen lichtete er nun Tatortszenen zur Spurensicherung ab und fotografierte Erschossene, Erschlagene, Erdrosselte und Erdolchte jeden Alters und Geschlechts in den Kühlhäusern der Gerichtsmedizin. Es war die harte, aber ganz augenscheinlich perfekte Vorbereitung auf sein späteres Leben als Fotoreporter in den dunklen und gefährlichen Ecken der Welt.

 

Im Hinterhalt des Vietcong

Zu einem solchen Journalistenleben gehört es, immer wieder in Gefahr zu sein. Mal war es pures Glück, dass Perry Kretz mit dem Leben davonkam, etwa als in einem Nachtlokal in Saigon im September 1971 eine Bombe explodierte. 27 Menschen starben, 40 wurden verletzt, die meisten amerikanische Soldaten. 

Und auch eine andere Episode aus dem Vietnam-Krieg beschreibt, wie Perry Kretz arbeitete: Mit einer Panzer-Einheit der US-Army waren er und ein Kollege in einen Hinterhalt der Vietcong geraten. Um heil wieder herauszukommen, drückte ein GI Perry Kretz ein M16-Gewehr in die Hände.

Auf den Protest von Kretz und seinem Kollegen, es verstoße gegen die Genfer Konvention, Journalisten zu Soldaten zu machen, brüllte der GI bloß: „Fuck the Geneva Convention.“ Also nahm Kretz die Knarre und leerte drei Munitionskisten in den Dschungel hinein.

Ab 1969 arbeitete der Fotograf mehr als vier Jahrzehnte lang für den stern. Auch nach seiner Pensionierung blieb er dem Magazin eng verbunden. Im Alter von 87 Jahren ist Perry Kretz in einem Krankenhaus in Hamburg gestorben. Seine Frau war bis zum Schluss an seiner Seite.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert