Von wegen Pizzeria

Ich habe ja in Münster studiert – und schon damals gerne italienisch gegessen. Ohne zu ahnen, dass selbst eine Universitätsstadt wie Münster für die ’Ndrangheta interessant ist.

Jahre später konnte ich im BKA-Bericht nachlesen, dass in Münster ein aus der kalabrischen Provinz Crotone stammender Clan seine Geschäfte macht – Geschäfte, die sich den klassischen Betätigungsfeldern wie Rauschgifthandel, Erpressung und Geldwäsche widmen, darüber schrieb ich in meinem Buch „Von Kamen nach Corleone“. Bei Ermittlungen im Jahr 2005 waren im Rostocker Hafen 126 Kilo Kokain gefunden worden, versteckt in drei Seesäcken in unter dem Wasser liegenden Ruderkästen eines venezolanischen Kohlefrachters, sowie 600 Gramm Kokain am Frankfurter Flughafen, eine quantité négligeable, sozusagen. Anders als bei den Ermittlungen in Deutschland, die stets ohne Erfolg abgeschlossen werden mussten, konnten bei dieser internationalen Festnahmeaktion über hundert Mafiosi festgenommen werden, darunter auch Francesco A. – der vom Spiegel so schön als „Pate von Münster“ betitelt wurde und in Münster als Geschäftsführer eines Groß- und Einzelhandels für Gastronomiebedarf lebte, und der natürlich auch über beste Verbindungen zum Clan Pelle-Romeo in Erfurt verfügt. A. wurde damals nach Italien ausgeliefert, wo man ihn kurzzeitig unter Hausarrest stellte, als handele es sich nicht um einen Mafioso, sondern um ein schlecht erzogenes Kind.

Die Clans aus Crotone sollten im Verlauf des großen Mafia-Prozesses »Aemilia« 2016 in Bologna wieder auftauchen – eine Ermittlung, in dessen Verlauf Besitztümer und Unternehmen im Wert von ca. 330 Millionen Euro beschlagnahmt wurden. Im Zentrum der Anklage stand der Clan Grande Aracri – angeklagt waren aber nicht nur Mafiosi, sondern auch ihre Handlanger: Stadträte, Journalisten, Polizisten, Unternehmer.

Nicolino Grande Aracri, einer der bedeutendsten und jetzt in Haft befindlichen Bosse der ‚Ndrangheta, sei deshalb oft in Deutschland bei Francesco A. gewesen – der laut Haftbefehl den Spitznamen „il tedesco“, der Deutsche, trägt. Francesco A. sei laut einem Kronzeugen für die ‚Ndrangheta besonders wichtig gewesen, weil er permanent in Deutschland lebte und schon zu Beginn der 1990er Jahre dabei half, Geld in Deutschland zu waschen.

Bei den beiden jetzt festgenommenen Brüdern Francesco und Salvatore A. heißt es, dass sie äußerst eng mit dem Clan der Grande Aracri zusammengearbeitet, aber Mitglieder des Clans Megna seien.

Festgenommen wurden sie aufgrund eines italienischen Haftbefehls – der in einen europäischen Haftbefehl umgewandelt wurde: Dass der mutmaßliche „Pate von Münster“ jetzt dank eines europäischen Haftbefehls festgenommen werden konnte, zusammen mit „41 vermeintlich Unschuldigen, die sämtlicher Mafiaverbrechen beschuldigt werden“, wie der Antimafia-Staatsanwalt Gratteri ironisch bemerkte – vorgeworfen wird A. Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Geldwäsche – ist den italienischen Ermittlern zu verdanken: Was aber nicht an der mangelnden Ermittlungsarbeit deutscher Ermittler liegt, sondern an den mangelnden deutschen Antimafia-Gesetzen: Anders als in Italien, wo der reine Verdacht auf Mafiazugehörigkeit ausreicht, um Mafiosi festzunehmen und auch ihre Besitztümer zu beschlagnahmen, müssen in Deutschland konkrete Beweise für konkrete Straftaten vorliegen.

Im Jahr 2021 wurden neun Menschen in ganz Deutschland wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt, im Jahr 2020 waren es sechs. Die Höchststrafe für die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung beträgt in Deutschland fünf Jahre (!) und verjährt auch nach fünf Jahren. Man geht in Deutschland also davon aus, dass man in die Mafia ein- und austreten kann, wie in einen Golfclub.

Der jetzige Haftbefehl liest sich streckenweise wie ein Handbuch zur Wirtschaftskriminalität: So ist darin die Rede von der Existenz weltweiter Finanzplattformen, deren begrenzte Anzahl in den Händen einiger weniger internationaler Broker liege – und die in der Lage seien, Gewinne von bis zu 80 Prozent pro Monat zu erzielen. Abtrünnige Mafiosi erklärten, dass sie mit Hilfe falscher Bürgschaften und dank der Nachsicht der Bankdirektoren in Deutschland Kreditlinien eröffnen und sofort Bargeld in großen Stückelungen abheben und nach Italien transportieren konnten.

„Ich erinnere mich, dass Salvatore A. mit mir über einige Kreditinstitute in Deutschland sprach und vorschlug, auch für die von mir übernommenen Unternehmen und Firmen in diesen Kreditkreislauf einzusteigen. Er ließ mir zu diesem Zweck auch einige Unterlagen per E-Mail zukommen, in denen die Namen der Kreditinstitute standen, zu denen wir nach Deutschland gehen konnten und deren Direktoren uns wohlgesonnen waren. Ich erinnere mich, dass eine dieser Banken die Deutsche Bank war.“

Von wegen Pizzeria.