Venedig im Coronamodus

Was uns hier in Venedig am meisten beeindruckt, ist, wie sich unsere Wahrnehmung unter Einfluss des Virus völlig verändert hat. Alles sieht plötzlich anders aus und fühlt sich anders an. Das Licht, die Farben, die Geräusche. Möwen liegen zum Sonnenbaden mitten auf dem Markusplatz. Amseln werden nicht mehr von Motorbooten überstimmt. Keine Kreuzfahrtschiffe. Keine Ausflugsboote. Keine Wassertaxiflotten, die den Canal Grande durchflügen. Keine Heerscharen von Reisegruppen, die es schaffen, noch die breiteste Gasse zu versperren. Unsere Schritte hallen in den Gassen, so dass Jean-Paul Sartres Feststellung wieder stimmt, dass der Fußgänger hier noch König ist.

Wir staunen über Venedig. Über die spiegelglatten Kanäle, die zu Lebzeiten wohl niemand so gesehen hat:

Denn als hier die Pest wütete oder auch die Cholera – zu Zeiten von Thomas Mann lebten noch mehr als 154 000 Venezianer in der Stadt – waren sicher trotz Ausgangssperre mehr Menschen in den Gassen zu sehen, als heute, wo nur noch 52 000 Venezianer hier leben.

Mit dem Abstand halten ist es übrigens auch so eine Sache in Venedig:

Im Grunde bewege ich mich nur im 200-Meter-Radius,  wobei ich, falls ich einem pingeligen Gemeindepolizisten in die Hände fallen sollte, ein Dokument (wir leben in einem Land  byzantinischer Bürokratie) in der Tasche habe, dass ich Autorin bin und als solche unser ungewöhnliches Leben in diesem so fremdartigen Venedig dokumentiere.

Kurios finde ich, dass viele Freunde, denen ich meine Videos geschickt habe, dieses Venedig als „gespenstisch“ empfinden. Weil sie alle mal „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ gesehen haben.

Sicher, es sind dystopische Zeiten. Wir aber empfinden Venedig zur Zeit als überraschend friedlich – vielleicht, weil die Vergewaltigung Venedigs vorübergehend ausgesetzt ist.

(Fortsetzung folgt)