Der Bestimmer.

Habe versucht, für Cicero die italienische Regierungskrise zusamenzufassen. Ähem.

In Italien möchte Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini seine aktuelle Beliebtheit in Macht verwandeln und nicht länger Juniorpartner der Fünf Sterne sein. Sein Ziel: Neuwahlen. Er schielt auf das Amt von Ministerpräsident Giuseppe Conte. Doch der macht ihm nun das Leben schwer

„Crisi“. Auf Deutsch: Krise. Es gibt wohl kein Wort, das von den italienischen Medien seit Antritt der letzten Regierung mehr strapaziert worden wäre. Quasi im Minutentakt. Weshalb es auf die meisten Italiener inzwischen einschläfernd wirkt: Ja, okay, Regierungskrise, aber was ist mit Juve?

Deshalb hier ein kurzer Überblick für alle, die besagte Resistenzen noch nicht entwickelt haben. Denn: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Innenminister Matteo Salvini von der Lega möchte „Kasse machen“, wie man in Italien so schön sagt. Weil er meint, dass ihm die Italiener bei den Europawahlen ein Versprechen gemacht haben, als sie ihn mit 34 Prozent der Stimmen zum Sieger krönten. Bei einer verschwindend geringen Wahlbeteiligung. Er möchte nun endlich Ministerpräsident werden und sich nicht länger vom bisherigen Amtsinhaber Giuseppe Conte gängeln lassen, der Salvini nicht nur an Popularität überragt, sondern ihm auch dauernd die Stirn bietet. Praktisch als einziger in der Regierung.

Conte hat die Hosen an

Blöd nur, dass Conte, wie Kinder so schön sagen, der Bestimmer ist. Und nicht einfach einknickt und zurücktritt, nur weil Salvini das gerne möchte. Sondern ihm klarmacht, dass es Salvini als Innenminister nicht zusteht, das Parlament einzuberufen, um über die Regierungskrise abzustimmen. Sondern dem Ministerpräsidenten. Und das ist eben Conte. Der Salvini mit mehr oder weniger eleganten Worten zum Misstrauensvotum auffordert. Praktisch ein Fehdehandschuh: Salvini soll auch in den Augen der Italiener die Verantwortung dafür übernehmen, diese Regierung gestürzt zu haben. Sekundant für das Ehrenduell zwischen Salvini und Conte ist Staatspräsident Mattarella, mit dem Conte alles abstimmte. Denn es ist der Staatspräsident, der am Ende darüber entscheidet, ob und wann das Parlament aufgelöst wird oder nicht.

Während Salvini am Strand war, haben wir gearbeitet, lässt Conte dann noch genüsslich verlauten. Eine weitere Demütigung für Salvini, dem noch die Wange von der Ohrfeige brennt, als ihn Conte vor wenigen Tagen damit erniedrigte, wegen der Russlandaffäre eine Senatssitzung einzuberufen: Es sollte geklärt werden, was sich hinter den staatsanwaltlichen Ermittlungen verbirgt, denen zufolge Salvinis Lega in Moskau Wahlkampfhilfe in Millionenhöhe einkassiert haben soll. Salvini erklärte, an der Senatssitzung nicht teilzunehmen.

Die Fünf Sterne sind Salvinis ungeliebter Partner

Conte ist also das eigentliche Hindernis für Salvini, um endlich an die Macht zu kommen. Denn natürlich möchte Salvini seinen – in seinen Augen – Juniorpartner, die Fünf Sterne, endlich loswerden, die mit 34 Prozent in das Parlament eingezogen sind, aber bei den Europawahlen nur noch knapp 20 Prozent erreichten. Womit sie von ihren Wählern dafür abgestraft wurden, mehr oder weniger mutlos all das abgesegnet zu haben, was Salvini verlangt hat. Zuletzt auch sein zweites Sicherheitsdekret. Sì, sì, sì haben die von einem verängstigten Luigi Di Maio angeführten Fünfsterne gesagt, terrorisiert von der Aussicht, als Partei der Neinsager geschmäht werden zu können – und Salvini so einen Vorwand für den Sturz der Regierung zu liefern. Den er natürlich trotzdem gefunden hat. Schließlich war Salvini in dieser Regierung der Skorpion. Und die Fünfsterne der Frosch. Der an das Versprechen des Skorpions glaubt. Dass er ihn nicht stechen würde. Aber weil es eben seine Natur ist, hat Salvini nun also zugestochen.

Es war wenig überraschend, dass er das nach der parlamentarischen Abstimmung über die Hochgeschwindigkeitsstrecke TAV (einer Strecke zwischen Lyon und Turin) tat, dem Totem der Lobbys, der Mafia-Organisation ‘Ndrangheta und der Lega, Salvinis Partei. Bei der die Fünfsterne, wie zu erwarten, dagegen stimmten. Und der Rest des Parlaments dafür. Was auch einiges aussagt über die Interessen der sogenannten Opposition, die nicht nur aus Forza Italia besteht, der Partei des allseits bekannten und betagten Mafiafreundes Silvio Berlusconi. Sondern auch aus den sogenannten Sozialdemokraten, der PD. Die eilig dem ansonsten so geschmähten Salvini die Hand gereicht haben – um ein weiteres sinnloses Großprojekt zu unterstützen, dass schon bei seiner Planung veraltet war. Ähnlich wie das andere Milliardengrab, der Hochwasserschleuse M.O.S.E., bei dem bislang 5,6 Milliarden Euro versenkt wurden. Ohne die Aussicht, dass das Ding jemals funktioniert.

Illegale bringen der Lega die Stimmen

Als Vorwand, die Regierung zu stürzen, reicht das Nein der Fünfsterne zum TAV nicht wirklich. War so erwartbar wie das Amen in der Kirche. Taugt deshalb nicht so richtig zum Twittern. Weshalb Salvini dann auch prompt einen nackten Nigerianer twitterte, der sich auf der Straße in Salerno wusch. Wobei Salvini allerdings zu erwähnen vergaß, dass der Nigerianer, der sich illegal in Italien aufhält, genau von Salvinis Flüchtlingspolitik in diese Illegalität gedrängt wurde. Und der von Salvini auch nicht abgeschoben wird, weil er so viele Illegale wie möglich braucht, damit die Italiener weiter an sein Märchen von der Invasion der Afrikaner glauben.

Was jetzt genau passiert? Möglich ist alles. Auf jeden Fall nicht vor dem 20. August. Die Ferien sind also erst mal gesichert. Und dann: Neuwahlen können rein organisatorisch kaum vor Ende Oktober, Anfang November stattfinden. Eine neue Regierung wäre nicht vor Anfang Dezember beschlussfähig. Die große Frage ist: Wer stimmt dann über den Haushalt im Herbst ab? Stimmt die Lega für einen provisorischen Haushalt? Und was ist mit der Abstimmung über die Verkleinerung des Parlaments? 345 Parlamentariersitze von 900 sollen gestrichen werden. Salvini, der jahrzehntelang gegen die „Kaste“ wetterte, will genau diese nun erhalten. Sollte diese Abstimmung noch erfolgen und Salvini dagegen stimmen, könnte sie ein schlechtes Licht auf ihn werfen. Das Stimmen kostet.

Wege einer neuen Mehrheit

Über den Weg zu Neuwahlen ist also noch ziemlich viel Stacheldraht gespannt, denn außerdem gibt es noch die „consultazioni“, die Beratungen des Staatspräsidenten. Der nämlich muss keineswegs sofort Neuwahlen einberufen, sondern kann erst mit den Vertretern der Parteien darüber beraten, ob nicht eine andere parlamentarische Mehrheit möglich ist. Denn immerhin haben die Fünfsterne mit ihren 32 Prozent noch die Mehrheit. Zusammen mit der PD, den Sozialdemokraten, die 18,7 Prozent der Stimmen erlangt haben, hätten sie eine parlamentarische Mehrheit. Und die PD wäre der eigentliche Wunschpartner der Fünfsterne gewesen – wenn nicht der in Deutschland verherrlichte, ja wie ein Messias verklärte Matteo Renzi aus der Höhe seines Talksshowsessels kurz nach den Wahlen 2018 dazu sein „Nein“ erklärt hätte. Wenn die PD eine solche Annäherung ablehnen würde, hätte sie natürlich ein kleines Problem damit, ihren Wählern zu erklären, warum sie eine Regierung Salvini nicht verhindern wollte.

Und dann gibt es auch noch die Möglichkeit einer technischen Regierung. Auch die könnte Salvini kostbare Zeit kosten, um endlich Kasse machen zu können. Denn wie Salvini weiß, lieben es die Italiener nicht nur, sich Götter zu erschaffen, sondern diese auch vom Sockel zu stoßen. Die Smitizzazione, die Entmythologisierung, ist eine nationale Leidenschaft. Manchmal lässt sie Jahrzehnte auf sich warten. Aber ab und zu geht es auch rasend schnell.

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