Christkind war schon da

… und es heißt Sandra Kegel. Damit ich mich nicht alleine freuen muss: Hier für Sie, meine lieben, treuen Blogleser (wurde gerade in Bologneser korrigiert, ach, die Poesie der Autokorrektur), exklusiv die schöne FAZ-Geschichte. Freuen Sie sich mit – und, natürlich: Lesen Sie Die Gesichter der Toten.

FAZ Samstag, 12.12.2015 Seite 20  *Sandra Kegel*

Allein gegen die Mafia

Weil es ihr zu gefährlich wurde, kämpft sie jetzt mit den Waffen der Literatur: Ein Besuch bei der deutschen Autorin Petra Reski, die seit mehr als zwanzig Jahren in Venedig lebt und schreibt. Ihre Bücher handeln von der organisierten Kriminalität, ihre Leidenschaft gilt dem Kampf gegen den Ausverkauf der Stadt an der Lagune.

VENEDIG, im Dezember

Für die Mafia der Moderne hat ein römischer Pate einmal eine treffende Definition geliefert. In einem abgehörten Telefonat beschrieb er seine kriminelle Organisation als „Zwischenwelt“: „Oben sind die Lebenden, und unten sind die Toten . . . und wir sind dazwischen. Wir sind dazwischen, weil auch die Personen, die sich in der oberen Welt befinden, ein Interesse daran haben, dass jemand aus der unteren Welt Sachen erledigt, die niemand anderes machen kann. Das ist es: Alles vermischt sich miteinander.“

Mit dieser explosiven Mischung kennt Petra Reski sich aus und fand die abgehörte Selbstauskunft des Mafiosi in ihrer wohlfeilen Selbststilisierung so schlagend, dass sie sie prompt in ihren neuen Roman „Die Gesichter der Toten“ übernommen hat. Seit die in Unna geborene Publizistin 1989 für eine Reportage nach Palermo geschickt wurde, schreibt die mittlerweile Siebenundfünfzigjährige über die Gefahren der organisierten Kriminalität. Sie stammt aus einer großen schlesisch-ostpreußischen Familie, und dass solchen Sippschaften eine gewisse Amoralität innewohnt, davon ist sie überzeugt. Heute ist Petra Reski neben Roberto Saviano die wohl bekannteste Mafia- Expertin Italiens, die für ihre Arbeit in ihrer Wahlheimat mit zahlreichen Preisen geehrt wurde.

Ich treffe Petra Reski an einem verregneten Herbstnachmittag in Venedig, der Stadt, in der die Deutsche mit dem markanten Kurzhaarschnitt seit einem Vierteljahrhundert lebt. Wir sitzen im Wintergarten des „Antico Martini“ und blicken durch beschlagene Scheiben auf das Fenice. Scharen von Touristen in Wegwerfgummistiefeln tummeln sich vor dem Theater. Trotz der schweren Brokatvorhänge an der Eingangstüre des Restaurants bleibt es auch im „Antico Martini“ empfindlich klamm.

Nein, Angst vor der Mafia habe sie nicht, sagt Petra Reski und wirft sich ihre schwarze Lederjacke energisch über die Schulter. Aber sie möchte sich nicht verstecken müssen wie ihr Kollege Saviano. Sie lebt gern in Italien und will das auch weiterhin tun. Deshalb schreibt Petra Reski inzwischen Romane – Mafia-Romane. Weil sie der Wahrheit mit den Mitteln der Literatur näherzukommen glaubt als mit denen der investigativen Reporterin. Nach der Veröffentlichung ihrer Sachbücher wie „Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“ oder „Von Kamen nach Corleone. Die Mafia in Deutschland“ fühlte sie sich irgendwann nicht mehr sicher. Immer wieder werden Journalisten verleumdet, verklagt und auch bedroht. Zumal, wer so leichtsinnig ist, sich in die Grauzone zwischen Mafia und Politik zu begeben. Wer der „Ehrenwerten Gesellschaft“ zu nahe kommt, riskiert etwas.

Auch Petra Reski wurde mit Klagen überzogen, etwa von italienischen Restaurantbesitzern in Deutschland. Dabei konnten weder die Aussagen des Bundeskriminalamts noch deutscher und italienischer Ermittler und Staatsanwälte, die Reskis Behauptungen belegten, verhindern, dass aufgrund von Persönlichkeitsrechten auch in einem ihrer Bücher Stellen geschwärzt werden mussten. Dabei hält es Reski für die wesentliche Aufgabe von Journalisten, über Gefahren zu berichten, und nicht bloß, Pressemitteilungen von Gerichten nachzubeten. Schwerer aber wog, dass auch ihre Auftritte in der Öffentlichkeit, ob vor Gericht oder bei Lesungen, irgendwann nicht mehr folgenlos blieben. Nicht nur in San Luca oder Corleone wurde die Autorin bedroht, sondern auch im beschaulichen Erfurt. Während einer Lesung in einer Buchhandlung dort, erzählt sie, sei plötzlich ein Italiener aufgestanden und habe eine „klassische Mafiadrohung“ ausgesprochen: „Ich bewundere Ihren Mut!“, habe der Mann gesagt. Nicht nur Reski verstand die Botschaft. Als sie von ihrem Ausflug ins Thüringische wieder nach Venedig zurückgekehrt war, musste sie sich von ihrer Schwiegertochter vorwerfen lassen, mit ihrer Arbeit die Sicherheit der ganzen Familie aufs Spiel zu setzen.

Drohungen dieser Art muss auch Serena Vitale aushalten. Die palermitische Staatsanwältin mit dem Hang zu scharfen Fragen und Heiligenfiguren ermittelt in Petra Reskis gerade erschienenem Krimi „Die Gesichter der Toten“ in jener „Zwischenwelt“, die ihre Schöpferin so penibel erforscht: Netzwerke aus Politikern, Unternehmern und Mafiosi also, die voneinander profitieren. Da teilen Politiker zum Beispiel Neubauprojekte zu, die dann von bestimmten Unternehmen finanziert werden. Und über die Mafia wird das Geld gewaschen, die im Übrigen ihr Drohpotential zur Verfügung stellt.

Im Roman führt eine Spur auf der Suche nach dem untergetauchten Paten Lombardo in die Sphären der römischen Politik und weiter bis nach Deutschland – ins Ruhrgebiet. Dort verbrachte Serena Vitale als Gastarbeitertochter ihre Kindheit. Lombardo hat sich, weil der Drogenhandel in der Hand der Kalabresen liegt und Schutzgelderpressung zu mühsam geworden ist, auf die Ökoindustrie verlegt. „Hier sprudelten die öffentlichen Gelder, und die Strafen waren minimal“, heißt es im Roman: „Green economy, das bedeutete nicht nur Wind und Sonne“, sondern Beton für die Fundamente der Windräder, Überlandleitungen und Straßen, die gebaut werden mussten. „Ein Riesengeschäft – von Lombardo kontrolliert . . . Selten hatte das Joint Venture zwischen Unternehmen, Mafiosi und Politikern besser funktioniert.“

Serena Vitales deutscher Doppelgänger ist der investigative Reporter Wolfgang Wieneke, der gegen die Hydra der organisierten Kriminalität auf ähnlich verlorenem Posten kämpft wie die Sizilianerin. Auch er scheitert bei seinem Versuch, einen deutschen Vorzeigeunternehmer, der mit der angeblich sauberen Windenergie schmutzige Geschäfte betreibt, vorzuführen. Hier wie da sitzen die Feinde in den eigenen Reihen. Auf ein Happy end, oder auch nur darauf, dass in „Die Gesichter der Toten“ die Schuldigen am Ende zur Verantwortung gezogen werden, wartet man vergeblich.

Im Gespräch führt Petra Reski einen Korruptionsskandal nach dem anderen ins Feld, der ihre deutsch-italienische Fiktion belegen kann. Für den untergetauchten Mafiaboss stand der berüchtigte Sizilianer Matteo Messina Denaro, genannt Rolex, Pate. Die windigen Geschäfte um ein Ökostromunternehmen im sizilianischen Trapani vor einigen Jahren sowie das Schicksal eines in der Haft ermordeten Mafiosi, der aussagen wollte, und, wie Protokolle belegen, Besuch von Geheimdiensten bekam, bilden den realen Hintergrund des Romans.

Tatsächlich muss Petra Reski nur vor die eigene Haustüre treten, um auf Skandale zu stoßen. Denn Venedig selbst steckt, wie der Bau des Flutschleuse Mose zeigt, so tief im Morast aus Bestechung und Korruption wie die hölzernen Stelen, auf denen die Lagunenstadt errichtet ist. Schon das Aufstellen eines Sonnenschirms auf dem eigenen Balkon verstößt gegen die strengen Auflagen des venezianischen Denkmalschutzamtes. Aber trotzdem wird ein Palazzo nach dem anderen als Flagship Store an Weltmarken verkauft. Und wie konnten die Denkmalschützer zulassen, empört sich Reski, dass der Benetton-Konzern die berühmte „Fondaco dei Tedeschi“ aus dem Jahr 1508 erwerben durfte, um den berühmten Renaissancebau in eine Shoppingmall umzubauen – inklusive roter Rolltreppe, die sich durch das gesamte Gebäude schlängeln wird? Für Benetton war die Kaufsumme von 53 Millionen Euro ein Schnäppchen. Der Marktwert des Prachtbaus an der Rialtobrücke, der sich derzeit hinter riesigen Plastikplanen verbirgt, wird Reski zufolge auf das Doppelte geschätzt. Im Frühjahr soll der Megastore eröffnet werden.

Der Ausverkauf Venedigs macht es für Bewohner der Altstadt wie Reski immer ungemütlicher. Viele Venezianer ziehen deshalb aufs Festland. Dort sind nicht nur die Wohnungen bezahlbar, sondern es gibt noch Geschäfte fürs tägliche Leben, während in Venedig inzwischen die letzten Bäckereien, Schuster und Käsehändler von Juwelieren und chinesischen Andenkenshops verdrängt wurden. Dreißig Millionen Menschen fluten die Stadt an der Lagune jährlich. Den täglich ins historische Zentrum drängenden 83 000 Touristen stehen 58 000 Bewohner gegenüber, Tendenz fallend.

Das sei gewollt, ist Reski überzeugt, denn die Bewohner störten nur: „Weil wir die Einzigen sind, die sich überhaupt noch gegen den Ausverkauf und die Bauspekulation wehren“. Der Wegzug werde deshalb von der Regierung mit allen Mitteln befördert, um ein entvölkertes Venedig in ein gigantisches Luxusressort zu verwandeln. Auch an diesem Herbsttag hängen riesige Werbeplakate direkt an der Rialtobrücke und am Markusplatz und machen Reklame für Modelabels oder Softgetränke.

Aber nicht nur der Ausverkauf Venedigs beschäftigt Petra Reski. Auch, dass die Mafia-Umtriebe in ihrem Roman ausgerechnet nach Deutschland führen, ist kein Zufall. Seit Jahren schreibt sie über die Mafiamachenschaften in Deutschland, und darüber, das Deutschland die Gefahr auch nach den Massakern von Duisburg und im rheinhessischen Nierstein unterschätze. Mafia-Zugehörigkeit sei in Deutschland „praktisch straffrei“, „Geldwäsche ein Kinderspiel, Abhören quasi verboten“, bem Verdacht auf Schwarzgeld gelte die Beweislast, empört sich Rechercheur Wieneke über die hiesige Gesetzeslage im Roman. Und als sein Verleger ihm widerspricht, legt der Reporter erst richtig los und schildert, wie die Mafia sich in Deutschland seit vierzig Jahren eingerichtet habe.

Damit spricht Wieneke aus, was Petra Reski in Artikeln, erst unlängst in einem Essay für die „taz“, immer wieder anprangert: Dass die Mafia selbst die Deutschen in ihrem Glauben bestärke, dass dies nur ein italienisches Problem sei. Die Mär, Deutschland sei nur ein „Rückzugsraum“, sei, halte sich bis heute. Dies gelinge vor allem deshalb, weil die Organisation es meisterlich beherrsche, sich der jeweiligen Gesellschaft bis zur Unkenntlichkeit anzupassen. „Die Mafia in Düsseldorf wählt andere Waffen als in Sizilien“. Ihren Roman hat Reski dem italienischen Staatsanwalt Rosario Livatino gewidmet. Er machte als Erste auf die Geschäfte der Mafia hierzulande aufmerksam. Und bezahlte dafür mit seinem Leben.

Alles, was sie über die Mafia wisse, hat Donna Leon einmal gesagt, wisse sie von Petra Reski. Dafür bedankte sich die amerikanische Krimiautorin mit Wohnsitz Venedig bei ihrer deutschen Kollegin mit dem Rat, Serena Vitale nicht sterben zu lassen. Eigentlich sollte der erste Band mit dem Tod der Staatsanwältin enden. „Sie ist einfach zu gut“, plädierte Donna Leon für ein Wiederaufnahmeverfahren. So lebt die Staatsanwältin also – und überlebt auch ihren zweiten Fall, wenn auch nur knapp. Das allerdings ist der einzige Erfolg, den sie am Ende des Romans für sich verbuchen kann. Denn auf die darin geschilderte Wirklichkeit trifft zu, was der 1992 ermordete Staatsanwalt Paolo Borsellino gesagt hat: Dass Politik und Mafia zwei Mächte seien, die auf demselben Territorium lebten. „Entweder sie bekriegen sich. Oder sie einigen sich.“ Letzteres geschieht in „Die Gesichter der Toten“.

Für den Kuhhandel braucht es ein Bauernopfer, und das trägt bei Petra Reksi Stöckelschuhe. „Lassen Sie die Dinge ihren natürlichen Lauf nehmen. Es ist nur zu Ihrem Vorteil“, wird Serena Vitale von ihrem Vorgesetzten gewarnt. Die Demütigung erträgt die Staatsanwältin in den hohen Schuhen immerhin aufrecht. Auch Petra Reski war erst dieser Tage wieder für eine Lesung in Erfurt.

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