Duisburg? War da was?

Der Plan der ‚Ndrangheta, das Blutbad von Duisburg an Mariä Himmelfahrt zu begehen – Ferragosto – einem der höchsten und heiligsten Feiertage in Italien, damit die Erinnerung daran nie vergehen möge, ist aufgegangen. Jedes Jahr erinnern wir uns an die Morde – und hoffentlich auch daran, dass sich nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland nichts geändert hat. Auch nicht 15 Jahre danach.

Im Jahr 2009, zwei Jahre nach den Mafiamorden von Duisburg, hatte die damalige SPD-Opposition im Düsseldorfer Landtag eine Große Anfrage zum Thema »Bedrohung Nordrhein-Westfalens« an die Landesregierung gestellt. In dem ihm eigenen amtlichen Duktus hatte das Düsseldorfer Innenministerium damals verkündet:

»Der mit der Großen Anfrage erweckte Eindruck, die Tötungsdelikte zum Nachteil von sechs italienischen Staatsangehörigen am 15. 8. 2007 in Duisburg, deren Opfer und mutmaßliche Täter der kalabrischen Organisation der sogenannten ’Ndrangheta angehören, seien Ausdruck bisher unterschätzter krimineller Aktivitäten der italienischen Mafia in Nordrhein-Westfalen (NRW), ist unzutreffend. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich Ausmaß, Erscheinungsformen und Gefährdungspotenziale der italienischen OK in NRW grundlegend von denen in anderen Ländern unterscheiden.« Und weiter hieß es: »Dem Landeskriminalamt liegen auch keine Beweise dafür vor, dass Gruppierungen der italienischen OK in NRW ebenso tief in der Gesellschaft verwurzelt sind, wie dies von der Antimafiakommission des italienischen Parlaments sowie den italienischen Sicherheitsbehörden dargestellt wird.«

Auf die Frage, wie die Landesregierung die Zukunft der nationalen und internationalen Ausbreitung der Mafia einschätze, stellte sie fest:

»Die Landesregierung hat keine Anhaltspunkte dafür, dass der Standort Deutschland eine besondere Attraktivität für eine zukünftige nationale Ausbreitung der italienischen OK aufweist.«

Damals fragte ich mich, ob sich dahinter Wunschdenken oder Zynismus verbarg. Die einunddreißig Seiten lange Antwort der Düsseldorfer Landesregierung erinnerte mich an jenes ferne Italien, in dem die Mafia noch geleugnet werden konnte. Als der Boss Gerlando Alberti in den siebziger Jahren in Mailand verhört wurde, fragte er: »Mafia? Was soll das sein? Eine Käsesorte?« 

Und wer jetzt immer noch Angst vor der Mafia in Nordrhein-Westfalen hatte, der wurde vom Innenministerium damit beruhigt:

»Die unmittelbare Drohung und die Ausübung von Gewalt richten sich nach polizeilichen Bewertungen vorwiegend gegen italienische Landsleute.«

Das Blutbad von Duisburg? Lediglich Italiener, die Italiener ermordet hatten. Es sollte nicht das einzige Mal sein, dass ich solchen Äußerungen hoher politischer Beamter in Deutschland begegnet bin. Auf Podiumsdiskussionen, bei Vorträgen, in Interviews. Die Mafia in Deutschland? Wenn überhaupt, dann nur ein Problem für Italiener. 

Angesichts der Tatsache, dass wir mit dem Abbau unzähliger Antimafia-Gesetze  in Italien zur Zeit eine massive Restauration erleben, einer Restauration, die ihren höchsten Ausdruck in der Urteilsbegründung rund um den Prozess der Trattativa fand, in den „unsagbaren Gründen“, die den italienischen Staat bewogen haben, mit der Mafia zusammenzuarbeiten, ja ihr zuzuarbeiten – kann nicht verwundern, dass der deutsche Staat aus ebengleichen „unsagbaren Gründen“ nichts gegen die Mafia in Deutschland unternimmt und ihren Einfluss schlichtweg negiert.

Zuletzt konnte man das in den Film  „Italien: Aus für die Mafia?“ sehen. Allein der Titel dieser Dokumentation ist ziemlich schwachsinnig, denn es geht dabei weitem nicht allein um die Mafia in Italien, sondern auch um die erfolgreichen Geschäfte der Mafia in Deutschland. Und da wird deutlich, dass es auch in Deutschland „unsagbare Gründe“ gibt, gegen die erfolgreichen Geschäfte der Mafia in Deutschland nichts zu unternehmen. 

So kommt eine Bemerkung des BKA-Beamten Frank Lippert erst scheinbar naiv daher, wenn er, weil das politisch in Deutschland so erwünscht ist, davon spricht, dass die Schätzung von Staatsanwalt Nicola Gratteri, der von 3000 in Deutschland ansässigen Mafiosi spricht, „zu hoch gegriffen“ sei, beim BKA würde man lieber von 1000 Mafiosi ausgehen.
Etwas später sagt er aber etwas, das mich schier vom Stuhl gerissen hat. Und da wird deutlich, dass es sich dabei keineswegs um Naivität handelt. Der BKA-Beamte negiert den Einfluss der italienischen Mafia auf die deutsche Wirtschaft glattweg und sagt:


Für Deutschland tatsächlich kommen wir zu dem Ergebnis, dass eine systematische Infiltration von der legalen Wirtschaft, insbesondere, wenn Sie jetzt mal im Bereich des Mittelstandes denken,(der) Industrie oder Banken, dass wir das nicht beobachten können. Was man tatsächlich sieht und auch weiß, ist, dass italienische Gastronomiebetriebe eine wichtige Rolle spielen.


Die systematische Infiltration der legalen Wirtschaft ist eine der vornehmsten Eigenschaften der Mafia. Das rundweg zu leugnen, ist eine politische Entscheidung, die den Bürgern zu verstehen geben soll: Wenn wir in Deutschland eine Mafia haben, dann nur so eine, die mit Italienern zu tun hat. In der Gastronomie. Aber sonst nicht. Macht Euch keine Sorgen!

Die Entscheidung, den Einfluss der Mafia auf die deutsche Wirtschaft konsequent zu negieren, ist eine politische. Der BKA-Beamte führt sie nur aus. Der Staatsräson willen soll den Deutschen zu verstehen gegeben werden: Ja, okay, wir haben hier Mafia, aber nur so ein paar italienische Pizzabäcker. Die Mafia betrifft uns Deutsche nicht. 

Denn wenn wir den Ursprüngen des Geldes in deutschen Banken nachgehen würden, hätte Deutschland ein Problem. 

Natürlich widerspricht die Aussage des BKA-Beamten allen italienischen Ermittlungserkenntnissen der letzten Jahrzehnte.  Aber was bedeutet das schon?  Die Mafia in Deutschland? Sind nur ein paar Italiener.

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