Von Klugscheißern und Wunderkackern

Unten im Bild: die römische Bürgermeisterin Virginia Raggi, der folgender Satz in den Mund gelegt wird: „Ich will jetzt sofort innerhalb der nächsten drei Stunden fünf Stadträte, gegen die nicht ermittelt wird. Wenn nicht, werde ich alle 15 Minuten eine Geisel umbringen.

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Das Schöne in Italien ist: Man langweilt sich nie. So auch jetzt. Und weil ich vermute, dass meine geschätzten Korrespondenten-Kollegen sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen werden, mal wieder gegen die Fünfsterne-Bewegung im Allgemeinen, und gegen die römische Bürgermeisterin Virginia Raggi im Besonderen zu schäumen (in gewohnter Copy&Paste-Manier – und falls ich jetzt, undifferenziert, wie es meine Art ist, jemanden beleidigt haben sollte, also einen von den redlichen, aufrechten, gegen die stromlinienförmige Italien-Berichterstattung tapfer ankraulenden Kollegen, dann möge er mir bitte seinen differenzierten Beitrag, falls ich ihn überlesen haben sollte, zukommen lassen: Ich verspreche ihm eine Kerze anzuzünden, in der Chiesa des Campo Santo Stefano.)

Erst mal kurz eine Vorbemerkung: Wir reden hier von Rom – einer Stadt, die dreißig Jahre lang von Neofaschisten und von der PD regiert wurde – vor allem aber von Mafiaclans und Baulöwen, die sich Bürgermeisterin Virginia Raggi mit ihrer Weigerung, Rom für die olympischen Spiele aufzustellen, zum Feind gemacht hat. Und seitdem Virginia Raggi den Vatikan zur Kasse gebeten hat, der zum ersten Mal in seiner Geschichte Grundsteuern auf seine unzähligen Immobilien zahlen soll, verscherzte sie sich auch schlagartig die Sympathien des Kirchenstaats.

Denn ohne etwas Hintergrundinformation können meine deutschen Freunde natürlich kein Fitzelchen von dem Mysterienspiel verstehen, das gerade in den italienischen Kommentarspalten von Facebook&Twitter&etc.pp. aufgeführt wird: Gestern wurde in Rom der städtische Beamte Raffaele Marra, stellvertretender Personalchef der Bürgermeisterin Virginia Raggi, wegen Korruption verhaftet: Vor drei Jahren soll er Schmiergelder von einem (jetzt ebenfalls verhafteten) Bauunternehmer kassiert haben. Marra ist ein ehemaliger Finanzbeamter, der seit zehn Jahren im römischen Rathaus arbeitet: nicht nur unter Raggis Vorgänger Marino, sondern auch und vor allem unter dem einstigen neofaschistischen Bürgermeister Alemanno, der gegenwärtig im Zusammenhang mit „Mafiacapitale“ in Rom vor Gericht steht, sowie an der Seite der ehemaligen Regionalpräsidentin (und Skandalnudel) der Region Lazio Renata Polverini. Wegen seiner Vergangenheit in den Mäandern der römischen Politik galt Marra nicht nur vielen Fünfsterne-Abgeordneten als anrüchig, sondern auch Beppe Grillo selbst – Virginia Raggi hielt jedoch an ihrem Mitarbeiter fest, gegen den bis gestern eben nichts vorlag, außer einem gewissen Unbehagen seitens verschiedener Fünfsterne-Abgeordneter.

Natürlich wäre es wunderbar, wenn sich jeder Bürgermeister seine (unbelasteten) Führungskräfte backen könnte, leider aber ist das italienische Kündigungsrecht so beschaffen, dass Funktionäre auf ihren Posten festbetoniert sind: Wenn sie nicht gerade kleine Kinder fressen, können sie nicht gekündigt werden. Und gegen Marra lag nichts vor, selbst die vom Espresso unter großem Getöse verkündete Tatsache, dass er sich eine Wohnung von (dem jetzt verhafteten) Baulöwen gekauft hatte, war ein Flop, weil er sich diese Wohnung rechtmäßig gekauft hatte, wie er mit Dokumenten belegen konnte. Und selbst die Investigationskoryphäen des von mir geschätzten Fatto Quotidiano haben sich an Marra die Zähne ausgebissen, weil Journalisten eben nicht, wie Marco Travaglio es heute so schön schrieb, Leute abhören, beziehungsweise ihre Konten kontrollieren können, so wie die Staatsanwaltschaft. Die eben jetzt da Schecks von besagtem Baulöwen ausfindig gemacht hat und hörte, wie Marra am Telefon sagte, dass er „zur Disposition“ stehe und bat, den Baulöwen und Verleger Caltagirone für eine kleine Medienkampagne zu seinen Gunsten einzuschalten. Wobei es natürlich schön gewesen wäre, wenn die römische Staatsanwaltschaft immer schon so wachsam gewesen wäre, dann wäre die Mafiacapitale vielleicht gar nicht erst entstanden.

So weit, so schrecklich. Was aber noch schrecklicher ist, war, dass einige der Fünfsterne-Abgeordneten anstatt Virginia Raggi in diesem Moment zur Seite zu stehen, sich nicht entblödet haben, vom hohen Ross aus der schwindelnden Höhe ihrer Facebook- und Twitter-Accounts todesmutig gegen Virginia Raggi zu trompeten, deren einziges Vergehen darin besteht, einem Beamten vertraut zu haben, der weder während ihrer Amtszeit Verbrechen begangen hat, noch von dem bei Raggis Amtsübernahme bekannt war, dass er sich von dem Baulöwen hat bezahlen lassen. Und das in diesem Augenblick, wo jeder Vollidiot seinen Hintern auf den „Raggi-muss-zurücktreten“- Zug geschwungen hat. Bei der Gelegenheit habe ich das schöne deutsche Wort „Klugscheißer“ vermisst – wobei das italienische „cagamiracoli“ (wörtlich: Wunderkacker) dem am ehesten entspricht.

Und dass niemand darüber redet, dass am gleichen Tag Mailands Bürgermeister Giuseppe Sala, Mitglied der Renzi-Partei Partito Democratico wegen viel gravierender Vorwürfe „vorübergehend“ zurückgetreten ist (Gegen Sala wird wegen Korruption ermittelt,  er soll als Chef der Expo Dokumente gefälscht haben, um so den größten öffentlichen Auftrag für die Expo zu manipulieren. Die Vorwürfe waren bereits seit 2014 bekannt, sind aber vom damaligen Generalstaatsanwalt dankenswerterweise vereitelt worden, der ermittelnde Staatsanwalt wurde versetzt): That’s Italy.

 

 

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