Ein Buch

und seine Geschichte.

Noch als ich über dem Manuskript saß, hatten mich einige deutsche Freunde besorgt gefragt, ob es nicht gefährlich sei, ein Buch über die Mafia zu schreiben. Schließlich müssten in Italien Anti-Mafia-Journalisten unter Polizeischutz leben. Aber mein Buch erscheint ja in Deutschland, hatte ich gesagt. Die dreihundert Seiten Manuskript sollten ein Schlusspunkt sein. Ende mit der Mafia. Jedenfalls für mich. Was meine deutschen Freunde auch etwas erleichterte. Nicht wegen der Gefahr, die mir drohen könnte, sondern weil sie meine jahrzehntelange Beschäftigung mit der Mafia immer als einen exotischen Tick betrachtet hatten, eine Manie. Unverständlich, aber im Grunde harmlos. Ich stellte mein Buch in Buchhandlungen, Stadtbüchereien und auf Literaturfestivals vor. Oft spürte ich hinter den Fragen der deutschen Leser und der Journalisten die Überzeugung, die Mafia sei sehr weit weg. Mafia, das war für sie ein folkloristisches Phänomen, mit dem vor allem rückständige Dörfer in Süditalien geschlagen waren, mit unverständlichen Riten, archaischen Blutfehden und, warum auch nicht, mit Liedern, zu denen die Mafiosi in ihren Verstecken tanzten, Lieder, die man in Deutschland gerne mit einem leichten Schaudern als Partymusik hörte. Ganz so, als sei die Mafia ein kleines unterdrücktes Völkchen, das nichts anderes will, als sein Brauchtum zu pflegen.

Ich versuchte den Lesern klarzumachen, was ich von den Staatsanwälten in Reggio Calabria, Palermo und Neapel wusste: dass sich die Mafia bereits seit Jahrzehnten bestens an die Gegebenheiten in Europa angepasst hat – weil ein Mafioso in Deutschland weder in öffentlichen Lokalen noch zu Hause abgehört werden kann, weil Mafiazugehörigkeit anders als in Italien in keinem europäischen Land strafbar ist, und weil die Geldwäsche in Europa ungleich einfacher ist, da der Mafioso nie nachweisen muss, dass das von ihm investierte Geld aus sauberen Quellen stammt. Anders als in Italien, wo mit dem Pio-La-Torre-Gesetz erreicht wurde, dass einer Person, die auch nur im Verdacht steht, zur Mafia zu gehören, die Güter konfisziert werden können. Ich sprach darüber, dass der Paragraf der kriminellen Vereinigung keineswegs den der Mafiazugehörigkeit ersetze, weil einer kriminellen Vereinigung ja die Vorbereitung eines speziellen Delikts nachgewiesen werden muss. Wobei sich die Mafia in Europa nur in Ausnahmefällen in die Gefahr eines konkreten Tatverdachts begibt – das Massaker von Duisburg im August 2007 war ein Betriebsunfall, den sie gerne wieder vergessen machen möchte. Ich erklärte, dass ein Europa ohne Grenzen nicht nur für Urlauber, sondern vor allem auch für die Mafia gelten würde. Und die deutschen Leser sahen mich an, als würde ich sie vor einer in der Ferne aufziehenden Giftwolke warnen. Eine Giftwolke, von deren Auswirkungen sie jedoch nichts zu befürchten hätten, wenn sie das Haus nicht verlassen würden. Dann fragten sie mich: Sind Sie von der Mafia schon einmal bedroht worden?

Das war die Frage, die mir am häufigsten gestellt wurde. Ganz so, als sei es völlig natürlich oder mindestens erwartbar, dass ein Journalist, der sich mit der Mafia beschäftigt, sein Leben riskiert. Ich antwortete zögerlich auf diese mir unangenehme, fast zu intime Frage. Der auch etwas Voyeuristisches anhaftete, wie ich fand. Tatsächlich bin ich im Laufe meiner Recherchen zwei Mal bedroht worden: einmal in Corleone. Und einmal in Kalabrien, in San Luca, jenem Ort, aus dem die Killer des Massakers von Duisburg stammten. Dort war ich bedroht worden, weil ich mich auf dem ureigensten Territorium der Mafia befand. Drei Monate, nachdem mein Buch in Deutschland erschienen war, erwirkten einige in Deutschland lebende Protagonisten meines Buches einstweilige Verfügungen – und erreichten vor Gericht, dass Abschnitte aus meinem Buch geschwärzt wurden. Und nur wenige Wochen vor der ersten Gerichtsverhandlung war ich auf einer Lesung in Erfurt öffentlich bedroht worden – so viel zum Territorium der Mafia.

Die Einschüchterung von Journalisten, die über die Mafia schreiben, hat in Italien eine lange Tradition. Acht Journalisten wurden von der Mafia ermordet. Allein in den vergangenen drei Jahren sind 200 Journalisten von der Mafia bedroht worden. Missliebige Journalisten und Bürgerrechtler sollen mit Millionenklagen zum Schweigen gebracht werden. Summen, die ein Journalist nicht in zwanzig Leben verdienen kann. Aber in Deutschland war all das neu. Weshalb in Erfurt auch niemand außer mir und den anwesenden Italienern verstand, dass sich hinter dem Satz „Ich bewundere Ihren Mut, Frau Reski“ keineswegs ein Kompliment verbarg, sondern eine unverhüllte Drohung. Mein Buch war zu dem Zeitpunkt erschienen, als die Mafia gerade damit beschäftigt war, die Deutschen wieder in jenen tiefen Schlaf zu schaukeln, in dem sie die vergangenen Jahrzehnte verbracht haben.

Mafia? Ja, die gibt es, sagten die Mafiosi. Aber nicht in Deutschland. Sondern nur in rückständigen kalabrischen Dörfern. Als ich mein Buch zum ersten Mal mit den in Deutschland gerichtlich erwirkten geschwärzten Passagen in der Hand hielt, wirkten diese schwarzen Seiten auf mich seltsam unwirklich. Ganz so, als sei dieses Buch aus dem Untergrund aufgetaucht. Als handele es sich um ein Buch, dessen Lektüre gefährlich sein könnte. Ich erwarte jedes Mal, dass meine Finger schwarz bleiben, wenn ich darüberstreiche. Inzwischen waren italienische Journalisten aufmerksam geworden und berichteten mit Erstaunen über die Seltsamkeit, dass ein Mafiabuch in Deutschland nur zensiert erscheinen durfte. Und meine deutschen Freunde fragten mich: Hast du denn keine Angst, nach Italien zurückzukehren? Nein, sagte ich. Wenigstens muss ich hier niemandem erklären, was eine ­Mafia-Drohung ist. Und ich muss auch niemandem erklären, was die Ndrangheta ist. Selbst mein Gemüsehändler würde mich verstehen. Das ist das bittere Ergebnis der blutigen Geschichte Italiens. Fast jedem Anti-Mafia-Gesetz ging ein Mord an einem Staatsanwalt voraus. Weshalb ein bayerischer Ermittler zu mir sagte: Wir haben in Deutschland keine toten Richter und keine toten Staatsanwälte. Sonst sähe die Gesetzgebung anders aus. Kurz nach dem Bekanntwerden meines „Falles“ – mein Buch war kein Buch mehr, sondern ein „Fall“ – erklärte sich halb Italien mit mir solidarisch.

Und ich muss sagen: Es war mir ein großer Trost. Es tut gut, sich in solchen Momenten nicht allein gelassen zu fühlen. Ein mutiger italienischer Verleger, Nuovi Mondi, wurde auf mein Buch aufmerksam und übersetzte es ins Italienische. Was keinesfalls naheliegend ist – gibt es doch in Italien Regalmeter ausgezeichneter Bücher über die Mafia. Ich darf mich deshalb durch diese Übersetzung in gewisser Weise geadelt fühlen. Zwei Tage, nachdem mein Buch in Italien erschienen war, klingelte mein Telefon. Ich saß am Flughafen Frankfurt, als mir eine italienische Journalistin einen Artikel aus Libero vorlas, einer Berlusconi nahestehenden Zeitung. Darin kündigte Marcello Dell’Utri an – rechte Hand von Berlusconi, Forza-Italia-Gründer und wegen Beihilfe der Mafia in erster Instanz zu neun Jahren Haft verurteilter Senator –, gegen mein Buch zu klagen. Dell’Utri beschuldigte in dem Zeitungsinterview ebenfalls den stellvertretenden nationalen Anti-Mafia-Staatsanwalt Vincenzo Macrì, der das Vorwort zur italienischen Ausgabe meines Buches verfasst hat. Durch sein Vorwort zu einem Buch, in dem der Berlusconi-Vertraute Dell’Utri beschuldigt werde, im Mittelpunkt eines mafiosen Komplotts zu stehen, habe sich der Anti-Mafia-Staatsanwalt nach den Worten von Dell’Utri zum „Komplizen der haarsträubenden Lügen“ meines Buches gemacht. Klingt wie eine Fatwa, dachte ich.

Der Forza-Italia-Senator Marcello Dell’Utri ist zurzeit Gegenstand verschiedener Prozesse und Ermittlungen: Sein Prozess, in dem er als Gehilfe der Mafia angeklagt ist, geht in Palermo in die zweite Instanz, außerdem wird gegen ihn und Silvio Berlusconi ermittelt, was ihre Rolle in den Verhandlungen zwischen Staat und Mafia betrifft. Speziell Marcello Dell’Utri soll nach Aussagen verschiedener abtrünniger Mafiosi zentrale Bedeutung haben. Außerdem wird gegen Berlusconi und seinen Freund Dell’Utri im Zusammenhang mit dem Attentat auf Paolo Borsellino ermittelt: Der Prozess um die Ermordung des Anti-Mafia-Staatsanwalts ist soeben in Sizilien wieder aufgerollt worden. Man könnte also meinen, dass mein Buch die geringste Sorge von Marcello Dell’Utri sein sollte. Eigentlich. Nach Marcello Dell’Utris Fatwa war Beppe Grillo, Starkomiker, Bürgerrechtler und Anführer der außerparlamentarischen Opposition in Italien, der Erste, der mich anrief. „Willkommen im Club“, sagte er nur.

3 Kommentare

  1. Ihr Buch ist die Waffe der Gegenwart. Hätten Sie es nicht geschrieben, hätten Sie das Schreien der „Verletzen“ nicht gehört, hätte vielleicht die Gesellschaft weiter geschlafen und weiter so getan als ob die andere“ Käsesorte“gar nicht existieren würde.. Zwar, erstaunlicherweise wird die Meinung immer noch weit verbreitet, dennoch mit dem Buch wurde auch ganz vielen klar, dass das Problem sich nicht nur dort, sondern auch hier und jetzt abspielt.
    Hut ab, Frau Reski. Immer wieder!

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