Aus Liebe zu Italien

kündigte B. an, auf seine Kandidatur als Ministerpräsident  zu verzichten.

Meine Meinung: Unter B. war nicht alles schlecht. Auch habe ihm einiges zu verdanken. Etwa, dass ich italienischer wurde, als ich es je erwartet hätte, ich habe mich für ihn geschämt und ihn verflucht. Dank ihm interessierte ich mich mehr für die Zusammenhänge zwischen Mafia und Politik und durfte  im Justizpalast von Palermo sogar die Bekanntschaft von Marcello Dell’Utri machen, Berlusconis rechter Hand. Und dank B. habe ich mich einmal sogar wie John Malkovich gefühlt. Als er in „Die zweite Chance“ einen Attentäter spielt, der als Sponsor getarnt zu einer Wahlveranstaltung des Präsidenten geht.

Es war vor einem Jahr in Turin. Die Innenstadt war von einem Sicherheitsaufgebot abgeriegelt worden, das jedem Nato-Gipfel zur Ehre gereicht hätte. Polizisten verteidigten B. gegen Punk-Mädchen mit flamingorosa Federboas und dünne Jungs mit hängenden Hosenböden. Mit Trillerpfeifen und Trommeln demonstrierten sie für ein freies Pfeifen in einem freien Land. Die Federboa-Mädchen riefen „Witzfigur, stell dich endlich den Gerichten!“, die Grillini skandierten: „Er wird von unseren Steuergeldern dafür bezahlt, sich vor uns zu schützen“ – bis eine Tränengasbome alle zurücktrieb.

Mit Schlagstöcken und Helmen bewaffnete Beamte bewachten das Hotel, in dem B. eine Pressekonferenz abhalten sollte, bevor er an einem Abendessen mit norditalienischen Industriellen teilnahm – die pro Person fünfhundert Euro dafür bezahlt hatten, um mit ihm ein paar gefüllte Ravioli zu essen. Ein Polizist in schwarzer Kampfmontur versuchte noch, mich aufzuhalten, aber als er hörte, dass ich ein Zimmer im Hotel „Principi di Piemonte“ gebucht hatte, ließ er mich ziehen.

Als ich mich endlich bis zum Pressezentrum vorgekämpft hatte, hieß es, die Akkreditierung für die Pressekonferenz mit B. sei bereits abgeschlossen. Aber ich sei extra aus Deutschland angereist, um Il Presidente zu sehen, log ich, und schon trug mich ein Mädchen in eine Liste ein. Dann durfte ich in einem kleinen Saal Platz nehmen, der von Scheinwerfern grell erleuchtet und mit den üblichen hellblauen Volk-der-Freiheit-Vignetten dekoriert war. Der Saal quoll über vor Sicherheitsleuten, die hinter Volk-der-Freiheit-Abgeordneten standen, in nachtblauen Anzügen und blankpolierten schwarzen Schuhen. Volk-der-Freiheit-Damen in Chanelkostümen warfen sich Volk-der-Freiheit-Luftküsse zu und tupften sich die glänzenden Stellen von der Stirn, die Sicherheitsleute zischelten etwas in ihre Jackenärmel, und dann kam ER.

Die Leibwächter schoben ihn wie eine Kommode in den Saal. Obwohl ich ihn bereits millionenfach im Fernsehen gesehen hatte, in Haupt- und Spätnachrichten, in den Talkshows der Hofschranzen, auf den Titelseiten der Wochenmagazine, überraschte mich, sehen zu müssen, dass er wirklich existiert. Und wie klein er dabei war. Kaum größer als ein Schulkind. Und wie geschminkt. Außer Leichen vor der Beerdigung hatte ich noch nie eine Person gesehen, die so stark geschminkt war wie er, mit mandarinengelbem Make-Up, dunkel nachgezogenen Brauen und aufgemalten Haaren. Wäre er Versicherungsmakler oder Friseur, hätte man hinter seinem Rücken getuschelt und sich ansonsten von ihm fern gehalten – weil sein Äußeres bereits so befremdete, dass man über das Innere gar nicht mehr nachdenken mochte.

Er hielt den üblichen B.-Monolog, beginnend bei der Justiz, die von Kommunisten verwaltet werde, weshalb mich ein nervöses Kichern überfiel und die Volk-der-Freiheit-Damen mich strafend anfunkelten. Als er eine Hand hob, klackten die Kameraobjektive so entfesselt, als sei etwas passiert. Während er „Ich als Regierung interessiere mich für“ sagte und von den Steuerhinterziehungen sprach, die er bekämpft und von den 7000 Mafiosi, die er festgenommen haben wollte, dachte ich, dass die dreimalige Wiederwahl eines Ministerpräsidenten, der bereits wegen Steuerbetrugs, Bilanzfälschung und Richterbestechung rechtskräftig verurteilt wurde, der nur einmal im Parlament sprechen musste, um alle Börsenkurse ins Bodenlose stürzen zu lassen, ein Wunder ist, das tatsächlich nur in Italien geschehen kann. Wo die Madonnen blutige Tränen weinen.

Heute twitterte jemand: „Danke. Jetzt brauchen wir zwanzig weitere Jahre, um wieder normal zu werden“