Als der SPIEGEL den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sah

Wieder mal Phantasiezahlen, die über die angebliche Feuerbakterien-Epidemie in den Medien herumgeistern, dieses Mal von niemand geringerem als dem SPIEGEL verbreitet, wie die die renommierte Wissenschaftsjournalistin Laura Margottini in  Il Fatto Quotidiano berichtete. Unter dem reisserischen Titel “ Wie ein Bakterium Süditaliens Olivenhaine dahinrafft“ verkündet die Autorin Aureliana Sorrento auf Spiegel online, dass in Apulien angeblich 21 Millionen Olivenbäume infiziert seien.

Wie aus 1044 Olivenbäumen 21 Millionen wurden

Laura Margottini weist nach, dass Der SPIEGEL ohne Not Fake News verbreitet hat: Nicht 21 Millionen Olivenbäume Apuliens sind mit der Feuerbakterie „infiziert“, sondern lediglich 1044 Bäume (von 68.639 untersuchten Bäumen) – und „infiziert“ heißt erst mal gar nichts: Von diesen 1044 „infizierten“ Bäumen wiesen lediglich 610 Olivenbäume Symptome der Trockenkrankeit auf.

Laura Margottini schreibt:

Gemäß eines kürzlich veröffentlichten Artikels des deutschen Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL seien 21 Millionen Olivenbäume Apuliens mit der Feuerbakterie infiziert. Il Fatto quotidiano hat die Zahl nachgeprüft: In Wirklichkeit handelt es sich nur um 1044 kontaminierte Bäume, wie die offiziellen Zahlen – die derzeit einzigen verfügbaren Zahlen – der Region Apulien belegen.

Gianluca Nardone, Chef der landwirtschaftlichen Abteilung der Region Apulien, erklärt, dass zwischen 2018 und 2019 rund 186 000 Bäume untersucht wurden (der Pufferzone und der einstigen Eindämmungszone, die heute zur infizierten Zone gehört), insbesondere im Gebiet der Ebene der jahrhundertealten Olivenbäume. Hier wurden 68639 Bäume auf das Vorhandensein des Bakteriums hin getestet – von denen nur 1044 als positiv resultierten. Eine Bagatelle. Und nicht nur das: Von diesen 1044 als positiv getesteten Bäumen wiesen nur 610 die Symptome der Trockenkrankheit auf, alle anderen waren gesund. Umgekehrt wiesen nur 7050 Bäume der 68639 getesteten Bäume Symptome der Krankheit auf und von diesen resultierten nur 610 als von der Feuerbakterie infiziert, also nur rund 8,6 Prozent.

Kurzum: Falls es eine Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen dem Bakterium und der Krankheit geben sollte, wie es den wissenschaftlichen Grundsätzen entspräche, die sich mit der Verbreitung von Epidemien beschäftigen, müsste man das Feuerbakterium in nahezu allen symptomatischen Bäumen nachweisen können – während die gesunden Bäume als Feuerbakterien-negativ resultieren müssten. Tatsächlich aber ist genau das Gegenteil der Fall: In 85 Prozent der 7050 Bäume mit Symptomen der Trockenkrankheit ist das Bakterium nicht vorhanden. Was hat dann also die Symptome ausgelöst?

„Es sollte daran erinnert werden, dass die festgestellten Symptome auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden können – und nicht ausschließlich auf die Präsenz des Bakteriums“, sagt Gianluca Nardone.

Il Fatto Quotidiano hat beim SPIEGEL nachgefragt, warum er die Zahl von 21 Millionen positiv infizierter Bäume im Salento verbreitet hat. „Die Daten basieren auf einer Schätzung des italienischen Bauernverbandes Coldiretti und auf Unterredungen mit Forschern der Zweigstelle des italienischen Wissenschaftsrats in Bari und mit der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa“, erklärten die Autorin Aureliana Sorrento und Michael Hengstenberg, Ressortchef Wissenschaft. Und: „Der Bauernverband Coldiretti stützt seine Schätzung auf die Zahl der Bäume in der infizierten Zone“. Da die Region aber hauptsächlich die Pufferzone und die Eindämmungszone überwacht, um zu vermeiden, dass sich das Bakterium weiter nach Norden verbreitet – und nicht die originär als infiziert bezeichnete Zone, der südliche Teil des Salento – hat der SPIEGEL die Schätzung des Bauernverbandes für bare Münze genommen, die praktisch alle Bäume als infiziert betrachtet, obwohl sie gar nicht getestet wurden.

„Das Gebiet, in dem die meisten infizierten Bäume sind, befindet sich im Süden des Salento – und ist tatsächlich von der Feuerbakterie verwüstet“, fügt der SPIEGEL hinzu. Offenbar verwechselt der SPIEGEL jedoch das Vorhandensein des Bakteriums mit der Trockenkrankheit.

Und während die Fachverbände glauben, dass nicht genug geschehen sei, haben sich Wissenschaftler und Aktivisten mobilisiert: Die ersten Daten der Region Apulien wurden erst geliefert, nachdem die Bürgerinitiative Terra d’Egnazia Akteneinsicht gefordert hat. Und manche vermuten eine Instrumentalisierung der Daten zum Zweck der Wiederbepflanzung mit Olivenarten, die sich zur mechanischen Ernte eignen – und mehr abwerfen als das Öl der jahrtausendalten Olivenbäume.

Will sagen:

1. Der SPIEGEL hat einen Artikel veröffentlicht, der auf Phantasiezahlen basiert – ohne zu versuchen, diese Zahlen nachzuprüfen.

2. Infiziert sind vor allem die Medien, die solche Fake News verbreiten.

3. Die Epidemie ist keine.

4. Die Interessen, die sich hinter der Kampagne zur Ausrottung der Olivenbäume verbergen, sind größer, als wir es uns vorstellen können.

Superintensive Landwirtschaft anstelle von tausendjährigen Olivenbäumen

Genau das hat sogar Michele Emiliano, der Ministerpräsident Apuliens zugegeben, dem man gewiss nicht vorwerfen kann, ein Gegner des Abholzens der Olivenbäume zu sein, als er bei einer Buchpräsentation jovial lachend sagte:

Jetzt scheint es so, als befänden sich alle ausgewogen in Erwartung eines Riesenhaufens Geld für das Fällen und die Neupflanzung der Bäume. Und dann ist die Frage, auf die Spitze getrieben, folgende: Was passiert? Ich befürchte, wenn jemand morgen daherkommt und sagt: Ich habe die Behandlungskur für die Feuerbakterie gefunden – dann wird der umgebracht. Ich weiß nicht, ob ich noch deutlicher werden soll … im Sinne von … [im Publikum ruft jemand: besser nichts sagen!], dass sich jetzt eine Reihe von Möglichkeiten ergeben, die in dieser Pflanzenkrankheit sogar einen Auslöser zur Neugestaltung der Landwirtschaft sehen. Ist das klar?“

Mit Neugestaltung der Landwirtschaft ist gemeint: größere Flächen, Großbetriebe, mehr intensiver und superintensiver Anbau von modernen, in Laboratorien entwickelten und patentrechtlich geschützten Sorten anstelle von tausendjährigen Olivenbäumen. Und das Bedauerliche daran ist, dass sich nahezu ausschließlich alle Medien (sowohl italienische als auch internationale, einschließlich der deutschsprachigen) in den Dienst dieser Lobby-Propaganda stellen. Ohne Not.

Die Feuerbakterie in den Köpfen der Journalisten

„Die Xyella ist unbesiegbar“, wusste der Spiegel bereits im August 2015 (32/2015), genau wie die ZEIT, die schon im Juni 2015 vor dem Kahlschlag im Paradies warnte und bereits kurz danach den Killer bereits identifiziert haben will. Da will selbst die Taz auch nicht fehlen und warnt 2016 vor der Ebola der Olivenbäume. Die Front der Xylella-Apokalyptiker reicht über Grenzen von Ressorts, Ländern und Weltanschauung hinweg. Egal, ob es der Schweizer Tagesanzeiger, das Schweizer Online-Medium Republik , Brand eins oder die Süddeutsche ist – die verkündet: „Es war einmal ein Olivenbaum. Seit fünf Jahren zerstört ein Bakterium die Olivenhaine Süditaliens. Ein Ende der Seuche ist nicht in Sicht.“

Der eine schreibt vom anderen ab. Auffällig ist dabei, dass nahezu alle Artikel auf den nahezu gleichen Quellen basieren: Auf den Aussagen der Forschern des CNR Bari, des Bauernverbandes Coldiretti und dem Großbauern  Giovanni Melcarne – Olivenölproduzent und Präsident eines Olivenölkonsortiums, dessen Name im besagten SPIEGEL-Artikel auch noch falsch geschrieben wird (Malcarne statt Melcarne, schöner Lapsus übrigens).

Kaum jemand hat sich die Mühe gemacht, sich die Frage nach dem cui bono zu stellen, niemand hat sich die Mühe gemacht, die Akten der Staatsanwaltschaft zu lesen, die doch gegenüber den offiziellen Verlautbarungen zumindest, ähem, etwas misstrauisch machen sollten. Stattdessen werden die kritischen Wissenschaftler, Ökobauern, Journalisten und Juristen als Verschwörungstheoretiker diffamiert.

Den größten Schaden hat die Feuerbakterie in den Redaktionen angerichtet. Ein echtes Armutszeugnis für den Journalismus.

4 Kommentare

  1. Danke für den hoch interessanten und ausgezeichnet recherchierter Artikel, das mussten Sie kräftig gegen den Strom schwimmen…!

    Das Abholzen der 1000jährigen Olivenbäume ist ein kultureller Frevel! Die meisten Menschen können sich diese Art sistemischer Korruptheit gar nicht vorstellen, und haben immer nur das Schreckgespenst von Verschwörungstheorien vor Augen, denen sie nicht anheimfallen möchten. Ich habe selber diese durchgehend korrupten Strukturen in Spanien erlebt, als wir ein Fährunglück überlebten (worüber der Spiegel kurz geschrieben hatte: „Schiffbruch der Menschlichkeit, 2008).
    Wirtschaft, Polizei, Justizapparat, Regierung, Kirche, Administration,… alle sind miteinander verwoben…. das übersteigt oft unsere Vorstellkraft.

  2. Leider hält der Spiegel seinen eigenen „Qualitätskriterien“ nicht stand: Auch auf mehrfache Nachfrage beim stellv. Chefredakteur Resort Wissenschaft, Kurt Stukenberg kam nichts susser dass sich die Autorin mit Telefoninterviews bei „offiziellen“ Stellen schlau (?) gemacht hat..,
    Eine dieser Stellen ist der italienische Agrarverband gleichzusetzen mit dem deutschen Bauernverband – und dem würde der Spiegel sonst nicht ein Wort glauben!
    Es dreht sich hier NICHT um eine Epidemie, sondern um eine Landneuverteilung im grossen Stil, dass dabei jahrhunderte alte Kulturlandschaften incl. der sie bewirtschaftenden uralten Bauernfamilien hinten runter gekippt werden, interessiert keinen!
    Zum Nachdenken: im Salento – das ist der Süden Apuliens (grob ab ca. Lecce südlich) sind tatsächlich innerhalb 2 Jahren 60 % der Bäume vertrocknet (wodurch ist bis heute nicht abschliessend geklärt!), seitdem bleibt es aber nördlich davon bei ca. 1-2 % der Bäume, die befallen (wovon) sind, wovon die meisten NICHT vertrocknen!
    Ich bin mehrere Monate im Jahr dort unten und sehe das mit meinen eigenen Augen!
    Wer auch in Zukunft noch authentisches apulisches Olivenöl geniessen möchte: Teilt das, macht es publik, redet mit Freunden darüber!

  3. Nur zur Info
    Sehr verehrte Frau Reski,
    die „Likes“ verschwinden wieder. Habe seit gestern obigen Artikel 3-mal geliket (sry für das Denglish), und, jedesmal wenn ich Ihre Seite erneut besuche, ist das Herzchen wieder weg. Möglicherweise auch, wenn man nur innerhalb Ihrer Seiten wechselt (da bin ich mir aber nicht ganz sicher).

    Viele Grüße aus Steinheim

    Kurt Noll

Schreibe einen Kommentar zu Thomas Ilse Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert