Der Senator auf den Bäumen. Ein Weihnachtsmärchen.

Die italienische Wirklichkeit liefert so viel Romanstoff, dass ich mit dem Schreiben kaum nachkomme. Gerade erst ist Palermo Connection in Italien erschienen – da fiel mir diese wunderbare Weihnachtsgeschichte vor die Füße: Es geht um das Bakterium des Neoliberalismus, auch Xylella fastidiosa genannt, das bekanntlich nicht nur in apulischen Olivenbäumen, sondern auch in den Medien wütet: Um auf die Abholzungshysterie rund um die Olivenbäume in Apulien aufmerksam zu machen, hat Lello Ciampolillo, Senator der Fünfsterne-Bewegung einen Olivenbaum in Cisternino zu seinem Wohnsitz erklärt. Und damit den Olivenbaum, der sich ungeachtet der Tatsache, dass er vor 18 Monaten als „infiziert“ bezeichnet wurde, bester Gesundheit erfreut, davor gerettet, gefällt zu werden.

Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen: Als das Forstamt anrückte, um den Baum zu fällen, rief Senator Ciampolillo die Carabinieri zur Hilfe, die wiederum den Carabinieri des Forstamts erklärten, dass der Baum parlamentarische Immunität genieße – die dem Wohnsitz italienischer Parlamentarier laut dem Paragrafen 68 der italienischen Verfassung zusteht. Weshalb die Beamten des Forstamts samt ihrer Motorsägen unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten. Ciampolillo bewacht nun den Baum zusammen mit einem Kreis von Umweltschützern – und wird bei dem Baum wohl auch Weihnachten verbringen.

Natürlich musste ich an Calvinos „Baron auf den Bäumen“ denken, dem Märchen über einen Jungen, der gegen seine Eltern rebelliert und fortan sein Leben auf den Bäumen verbringt, wo er unter anderem Widerstand gegen Waldbrände und ausländische Invasionsarmeen organisiert.

Wie alle anderen Umweltschützer zweifelt auch der Senator nicht daran, dass die Xylella hier präsent ist –  er zweifelt nur an der offiziellen Lesart, dass ausschließlich die Bakterie Schuld am Vertrocknen der Bäume sei, „CODIRO-Syndrom“ genannt. Um so mehr, als es sich wie im Fall dieses Olivenbaumes um sogenannte „unbequeme Zeugen“ handelt: Olivenbäume, die als „infiziert“ erklärt wurden und ungeachtet dieser Diagnose weiterhin wachsen und gedeihen – und damit beweisen, dass es ohne weiteres möglich ist, mit dem Bakterium zu leben.

Die Bakterie werde instrumentalisiert, um die Landschaft und auch die Landwirtschaft Apuliens umzubauen, sagen die Gegner der Abholzungsaktionen, und die Verteidiger des Vernichtungsplans schäumen: Allen voran Michele Emiliano, der Ministerpräsident der vonder Demokratischen Partei geführten Regionalregierung, die apulischen Bauernverbände und das von der Lega geführte Landwirtschaftsministerium, das sich als Fürsprecher der Lobbys für industriell betriebene Landwirtschaft hervorgetan hat.

Für den Ministerpräsidenten Emiliano handelt es sich bei Ciampolillos Rettungsaktion um nichts Geringeres als um eine „Kriegserklärung“, für Ciampolillo und die Abholzungsgegner jedoch um nichts anderes, als um  eine Gelegenheit, auf die Absurdität des von der Regionalregierung und der EU getragenen Vernichtungsplans aufmerksam zu machen: Zusammen mit 51 Senatoren der Fünfsterne-Partei hat Ciampolillo eine parlamentarische Untersuchungskommission zu den Hintergründen der vermeintlichen Bakterien-Epidemie beantragt.

Die Abholzungshysterie wird von der Mehrheit der  italienischen Medien angefeuert, allen voran die Gazzetta del Mezzogiorno, die sich als Sprachrohr der Lobbys verdient gemacht hat –  was aber spätestens seitdem der Verleger im September wegen Unterstützung der Mafia angeklagt wurde, einen gewissen Hautgout hat: Die Staatsanwaltschaft hat dem Verleger ein Vermögen von 150 Millionen Euro beschlagnahmt, darunter auch Anteile der Gazzetta del Mezzogiorno.

Bedauerlich nur, dass die Lobbyarbeit nicht nur in italienischen Medien fruchtet, sondern auch in deutschsprachigen, weshalb wir nichts von den überaus erfolgreichen Experimentierfeldern erfahren, wo vertrocknete Olivenbäume mit ökologischen Mitteln wiederbelebt werden, etwa das der Biologin Margherita D’Amico und des Biobauern Ivano Gioffreda, das des römischen Bakteriologen Mario Scortichini oder das des Olivenbauern und Bienenzüchters Roberto Polo, der zusammen mit dem Mikrobiologen Giusto Giovannetti das Experimentierfeld Bicc betreibt.

„Niemals hatte man ärgeren Ungehorsam erlebt“, schrieb Calvino über seinen Baron auf den Bäumen. Manchmal werden Märchen eben wahr.

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