Das Boot (1)

Für mich hat ein neues Leben begonnen. Das Leben mit dem Boot.

Wie?, fragen Sie sich jetzt, da lebt sie seit (Damen nennen keine Zahlen) Jahren in Venedig und hatte kein Boot? Aber haben nicht alle Venezianer eins?

Nein, haben sie nicht. Ein Boot zu haben ist in Venedig kein Problem, das Problem ist, das Boot loszuwerden. Anlegestellen sind hier so selten wie nördliche Breitmaulnashörner. Jedes Mal, wenn es eine Ausschreibung für neue Anlegestellen gibt, rennen die Venezianer dem Rathaus die Türen ein, um dann, falls sie ausnahmsweise erhört wurden, der schwarzen Maria in der Salutekirche eine Kerze anzuzünden.

Außerdem: Anlegestelle ist nicht gleich Anlegestelle. Wir hatten eine, die aber liegt in einem schmalen Kanal voller Wassertaxis, Gondeln und vor allem Müllbooten (der Panzerkreuzer Potemkin in venezianischen Kanälen) – da bleibt von einer Topetta, einem Mäuschen, wie man das typisch venezianische Fischerboot nennt, nicht viel übrig. (Das hier im Bild ist etwas größer als unseres, damit hätte ich ein paar Schwierigkeiten)

Topetta

Deshalb hatte ich die Hoffnung auf ein Leben mit Boot schon längst aufgegeben – als uns unerwartet das Glück einer Anlegestelle beschieden war. Wo, sage ich jetzt nicht, für den Fall, dass Sie irgendwelche anderen Venezianer kennen, die dann neidisch werden. Auf jeden Fall müssen wir der Stadt Venedig dafür eine Miete bezahlen: ein Entgelt für die Belegung des Wasserspiegels.

Und so fügte es sich, dass ich zur Zeit lerne, wie man ein Boot fährt.

Mit dem kleinen, glücklichen Umstand, dass ich keine Prüfung ablegen muss: Der Motor meiner Topetta ist so klein (Damen nennen keine Zahlen), dass ich dafür keinen Führerschein brauche. Nur etwas Praxis. Die mir mein Fahrlehrer, ein Venezianer DOC, beibringen will.

Die Grundregeln

Regel Nummer eins: Man steuert mit links.

(Etwas gewöhnungsbedürftig für Rechtshänder)

Regel Nummer zwei: Man zieht das Steuer in die Richtung, in die man nicht will.

(Extrem gewöhnungsbedürftig. Denn natürlich hat die Topetta kein Steuerrad, Boote mit Steuerrädern werden in Venedig immer etwas belächelt, Steuerräder sind nur etwas für Landratten, die man hier in Venedig campagnoli nennt, was so viel wie Bauerntölpel heißt.)

Regel Nummer drei: Man bremst, indem man den Rückwärtsgang einlegt.

(Was besonders heikel ist, wenn es schnell gehen muss. Da hat man automatisch den Autofahrer-Reflex und lenkt in die Richtung, in die man fahren will, zieht das Steuer also in die falsche Richtung, merkt das, reißt das Ruder rum, aber das Boot fährt ungerührt weiter. Weil es eben keine Bremse hat, nur diesen Rückwärtsgang, der aber auch nicht wirklich wie eine Bremse funktioniert.)

Regel Nummer vier: Im Prinzip ist der Verkehr in Venedig genau wie an Land geordnet, also Rechtsverkehr.

(Im Prinzip.)

Regel Nummer fünf: Rechtsverkehr gilt nicht, wenn eine Gondel vorbeifährt.

(Wenn sie in einem schmalen Kanal entgegen kommt, muss man – sehr, sehr vorsichtig – an der Seite der Gondel vorbeifahren, wo das Ruder ist. Also links.)

Regel Nummer sechs: Gondeln haben immer Vorfahrt.

Mit diesen Grundregeln ausgestattet, fand meine erste Fahrstunde auf dem Giudecca-Kanal statt. Aufgabe: Von einem Ufer zum anderen fahren.

Der Gedanke meines Fahrlehrers war: Okay, was kann hier schon groß passieren, der Kanal ist breit genug, keine Gondeln unterwegs, die sie versenken könnte, okay, ein paar Motorboote, aber sonst?

Na ja. Der Giudecca-Kanal ist für Anfänger nur bedingt geeignet. Hier Boot fahren zu lernen, ist so, als würde man jemanden, der noch nie Auto gefahren ist, mitten auf dem Berliner Ring ans Steuer setzen. Auf dem Giudecca-Kanal herrscht ein Wellengang (auf Italienisch: Moto ondoso) wie auf dem Südpazifik. Ich versuchte, so gut es ging mit den Monsterwellen fertig zu werden, die von unzähligen Lastkähnen, Vaporetti und Ausflugsbooten ausgelöst werden: Die Welle schräg seitlich anschneiden, sagte mein Fahrlehrer. Leichter gesagt als getan, denn während man noch damit beschäftigt ist, die eine Welle schräg seitlich anzuschneiden, rollen schon zehn weitere Monsterwellen aus allen anderen Richtungen an. Und als ich mich kurz umdrehte und aufblickte, ich plötzlich einen Plattenbau auf mich zu schwimmen.

An diesem Wochenende übrigens sollen acht (!) Kreuzfahrtschiffe in Venedig anlegen. Das nur zu dem Thema „Wie? Aber waren die nicht verboten?“

Aber: Ich habe es geschafft. Yesss! Ich habe den Giudecca-Kanal durchquert. Meine Feuertaufe.

Danach fühlte ich mich wie Charles Lindbergh nach seiner ersten Nonstop-Atlantiküberquerung. Oder wie Amalia Earhart nach ihrem Alleinflug über den Pazifischen Ozean. Oder wie Vasco de Gama nach der Umseglung des Kaps der Guten Hoffnung. Auf jeden Fall sehr, sehr stolz.

2 Kommentare

  1. Zifix Halleluja, warum habe ich Sie nicht früher kennengelernt ?
    Ein Vergnügen, Ihre Beschreibung zu lesen… und leider Neid erweckend…
    Gebe ab jetzt keine Ruhe, bis ich Ihre Telnr habe, um Sie zu fragen, wann Sie einen Ausflug mit mir machen…

  2. Sehr verehrte Frau Reski,
    Herzlichen Glückwunsch zum Bootsanleger und der absolvierten „Jungfernfahrt“. Es war mir eine Freude über Ihr Erlebnis zu lesen.
    Aber, wie es scheint, sind selbst auch solche Unternehmungen in Italien keinesfalls unpolitisch. Die dazu erforderlichen Regeln sind den Handlungsweisen des einen oder anderen Politikers (auch der unseren) nicht unähnlich:
    Regel Nummer eins: Man steuert mit links.
    Regel Nummer zwei: Man zieht das Steuer in die Richtung, in die man nicht will.
    Regel Nummer drei: Man bremst, indem man den Rückwärtsgang einlegt.
    In diesem Sinne wünscht ihnen stets einen Handbreit Wasser unterm Kiel

    Kurt Noll

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