Überleben in Venedig

Lange nichts mehr über Venedig geschrieben, haben Sie vielleicht gedacht. Ja, stimmt. Auch weil das immer so die Stimmung verdirbt, nach dem Motto: Mensch, die Welt ist so schlecht, reicht es nicht schon, dass die Reski in jedem Caffè latte die Mafia schwimmen sieht, jetzt macht sie uns auch noch das schöne Venedig madig, überall sieht man wunderbare Bilder, Gondeln auf dem Canal Grande und flatternde Wäsche in einer possierlichen, schmalen Gasse, und die Reski versaut wieder mal alles.

Will man sich ja auch nicht immer nachsagen lassen. Aber was soll ich sagen: Es ist einfach stärker als ich.

Die Osterinvasion haben wir gerade überstanden. An Ostern sei der „Ernstfall“ für die Sommersaison getestet worden, war in den venezianischen Zeitungen zu lesen gewesen.

Copyright: Venezia Today (Warteschlange für ein Vaporetto-Ticket am Bahnhof)

Ich meine: Dieser Ernstfall findet nicht nur an Ostern, sondern tagtäglich statt. Und der einzige, der davon nichts mitkriegt, ist Venedigs Bürgermeister, der bekanntlich nicht in Venedig, sondern in Mogliano Veneto wohnt, und über die Erfolge seines Basketballvereins twittert , während die Menschen in den Gassen zwischen Rialto und San Marco feststecken – und die Touristenhorde an den beiden Ostertagen 30 Tonnen Müll hinterlassen.

Mit meinem Permesso-Permesso komme ich schon lange nicht mehr weit (früher hatte es noch die Wirkung einer Lichthupe, wenn ich es den vor mir laufenden Stellwänden in den Nacken gebellt habe), weil die Stellwände jetzt im Laufen ihre Pasta aus Pappkartons essen müssen. Ja, ich gebe es zu: In Venedig könnte selbst ein Albert Schweitzer zum Menschenfeind werden.

Denn während ich diese Zeilen schreibe, befinden sich fast ebensoviele Touristen in der Stadt wie Einwohner: 51 883 Touristen auf 54 078 Einwohner. In Mestre werden gerade vier neue Hotels gebaut, 1900 Betten mehr. Die Investoren sind keine Italiener, sondern Deutsche, Israelis und Chinesen (aus China werden bald 500 Millionen Touristen erwartet, in Venedig freut man sich sehr)

Dashboard Venice 

Jetzt könnte man annehmen, dass in einer Stadt, die jährlich von 30 Millionen Touristen überrannt wird, eine ganze Abteilung von hochgezahlten Spezialisten darüber wacht, wie diese Menschenmasse zu bewältigen ist. Spezialisten, die vorausschauend planen, eventuell sogar eingreifen. Die Daten stehen schließlich zur Verfügung, wie es auch das wunderbare Venice-Dashboard zeigt.

Aber nein. Stattdessen hängt man in Venedig einem fundamentalistischen Glauben an den Massentourismus an (Kreuzfahrtschiffe, Tagesausflügler, deren Müll zu beseitigen die Stadt im Jahr 30 Millionen Euro kostet) und betrachtet die Touristenmassen so schicksalsergeben wie das Hochwasser:  „C’è gente o non c’è gente?“ (Gibt es Leute oder gibt es keine Leute?) Eine einzige Stadträtin ist nicht nur für den Tourismus zuständig , sondern auch für die Kultur – wenn sie nicht gerade in China ist und um weitere chinesische Touristen und Investoren wirbt.

Und der Bürgermeister? Der hat lange nachgedacht. Und gesagt: „Wir können Venedig ja schließlich nicht blockieren. Auch wegen der europäischen Normen“

Ach so. Alles klar.


4 Kommentare

    1. Nein, das wird nicht helfen, das ist aber auch nicht die Absicht. Es soll höchstens die letzten Venezianer dazu bringen, die Stadt zu verlassen.

  1. Sehr verehrte Frau Reski,
    wenn ich mich recht erinnere, handelt es sich um einen Basketball-Verein (Mr. Kwong auf Einkaufstour) – der berüchtigte Fehlerteufel hat einen Baseball-Verein daraus gemacht. Ansonsten ist leider keine Entlastung für Venedig zu vermerken – stattdessen immer neue Belastungsspitzen. Vermutlich muß erst wieder die Pest ausbrechen, damit den Massen Einhalt geboten werden kann. Vielleicht könnte man die Altstadt wegen Baufälligkeit sperren und nur noch kleinere, geführte, Besuchergruppen zulassen. Es wird sich sicher irgendeine EU-Vorschrift finden, die sich entsprechend zurechtbiegen läßt. Die Venezianer sollten mal bei der deutschen Regierung nachfragen – die haben Erfahrung mit dem Zurechtbiegen aller möglichen Fakten (für die ist der Euro immer noch eine Erfolgsgeschichte). Es muß ja nicht unbedingt die Pest sein – oder? Oder doch – vielleicht, wenn die Touristen nur glauben, daß …

    Mitfühlende Grüße
    Kurt R. Noll

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert