Il mondo veneziano – nichts für Eintagsflügler

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Ich bin immer voller Bewunderung für Menschen, die sich vornehmen, ein Buch über Venedig zu schreiben. Und gleichzeitig auch skeptisch. Weil die meisten Sachbücher nichts anderes sind als ein mehr oder weniger gut geschriebener Reiseführer. Um so mehr freut es mich, mal eine tolle Entdeckung gemacht zu haben: Mondo Veneziano von Heidrun Reinhard. „Nichts für Eintages-Ausflügler!“ schreibt jemand sehr treffend in seiner Amazon-Rezension.

Genau so habe ich es auch empfunden. Kein Buch für Eintagsfliegen, denen es um ein Selfie am Marktplatz geht, sondern für diejenigen, die Venedig lieben. Liebe heißt, den anderen zu verstehen versuchen. Dieses Buch wird Ihnen dabei helfen: Venedig wird sehr lebendig und sachkundig über Menschen und Palazzi beschrieben, die die Stadt geprägt haben – von der Ca‘ Foscari bis zur Casetta Rossa. Wobei der Schwerpunkt auf dem 19. Jahrhundert liegt, das, wie die Autorin feststellt, sowohl für unsere Vorstellung von Venedig als auch für die Realität der Stadt entscheidend war.

Und ja, darunter sind natürlich auch einige übliche Verdächtige wie Lord Byron oder John Ruskin (dem Autor von „Die Steine von Venedig„) – der an den Fassaden der Palazzi herumkletterte (nach eigenen Aussagen nahm er 2000 Spitzbogenfenster in Augenschein), während seine junge Ehefrau Effie sich in der venezianischen Gesellschaft verlustierte. Ruskin liebte die Steine von Venedig definitiv mehr als seine Ehefrau: Nach sechs Jahren wurde die Ehe annulliert, Effie ließ sich ihr intaktes Jungfernhäutchen von einem Arzt attestieren, heiratete und bekam acht Kinder. Aber nicht nur das weiß die Autorin zu berichten, sondern auch, dass John Ruskin schon damals das beklagte, was klingt, als würde er die Touristenhorden von heute beschreiben: „arme moderne Sklaven und Einfaltspinsel, die sich wie Vieh durch die Länder treiben lassen, die sie zu besuchen meinen.“

Wunderbar unterhaltsam die Anekdoten – sehr schön übrigens das Kapitel „Greek Love“ über die angloamerikanische Szene im Palazzo Barbaro, gelungen fand ich auch, wie die Autorin das Historische immer wieder auf die Gegenwart herunterbricht, etwa indem sie Elsa Maxwell als „Erfinderin der Spaßgesellschaft“ bezeichnet oder die Marchesa Luisa Casati als „Performance-Künstlerin“. Aber das Buch ist gleichzeitig auch sehr klug und  informativ: Besonders interessant für mich war das Kapitel über das Problem des Restaurierens der Palazzi in Venedig. Der Leser erfährt von den verschiedenen Glaubensschulen der Denkmalpflege und ihren Auswirkungen auf Venedig – etwa im Fondaco dei Turchi, der bereits im 19. Jahrhundert totrenoviert wurde. Das jüngste Bespiel für eine „Totrenovierung“ kann übrigens ab diesem Herbst besucht werden: der Fondaco dei tedeschi, die ehemalige Handelsniederlassung der Deutschen, die nun dank der tatkräftigen Hilfe des Ex-Bürgermeisters Orsoni, der obersten Denkmalschützerin und dem Star-Architekten Rem Kohlhaas in ein Luxuskaufhaus verhext wurde. Auch seiner Geschichte und seinen Protagonisten, darunter kein Geringerer als Albrecht Dürer, hat die Autorin gedacht.

Heidrun Reinhard ist nicht nur studierte Kunsthistorikerin, sondern auch eine Veneziana di adozione – was sich unter anderem in ihrem Schlusswort widerspiegelt, als sie feststellt:

Alle, die Venedig in seiner Einzigartigkeit lieben, können für die Zukunft nur hoffen, dass seine Erhaltung nicht auf Dauer allein inkompetenten und überforderten Lokalpolitikern überlassen wird, die nur kurzfristige wirtschaftliche Interessen bedienen.

 

Also: Lesen!

 

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