Die Schönste aller Katastrophen

Eigentlich ist mal wieder Zeit für den Presseclub, dachte ich heute morgen, als ich in der FAS einen Artikel über Griechenland las. Unter der Überschrift „Eine Überdosis Hoffnung“ schrieb Michael Martens über Alexis Tsipras:

Wählern wie Zafiropoulos geht es vor allem um die Zerstörung des „Dreiecks“. Von dem sprechen fast alle in diesen Tagen in Athen. Gemeint sind Politiker, Unternehmer und Medien, die untereinander kungeln. „Wir wollen den Zusammenstoß mit dieser finanziellen Oligarchie, die all die Jahre gemeinsam mit dem politischen Establishment geherrscht hat“, hat Alexis Tsipras vor wenigen Tagen in einem Interview mit der „New York Times“ über das Dreieck gesagt.

Man muss kein Linker sein, um zu sehen, dass an den Geschichten vom „Dreieck“ etwas dran ist. Industriebarone, vor allem Bauunternehmer, die sich Zeitungen und Fernsehsender halten, um ihre geschäftlichen Interessen in anderen Branchen voranzutreiben, gibt es einige in Griechenland. Ihre Konzerne gewinnen staatliche Ausschreibungen oder erhalten einträgliche Konzessionen, wenn ihre Medien die jeweils zuständigen Minister gut behandeln und sie in die wichtigen Talkshows einladen. Und die Minister werden reich. Tsipras hat die Stimme von Stamatis Zafiropoulos, weil er versprochen hat, das Dreieck zu zerstören. „Er kann den Kampf gegen das Dreieck gewinnen, auch wenn es vielleicht lange dauern wird.“ Wenn es Tsipras gelingt, den griechischen Staat „vom Klientelismus der oberen Kreise zu befreien“, wie Zafiropoulos das nennt, habe er ein wichtiges Versprechen erfüllt.

Im Grunde hätte man den Artikel nehmen können und anstatt Griechenland „Italien“ einsetzen können: Auch in Italien herrscht das „Dreieck“: Parteien, die sich über Jahrzehnte die Pfründe aufteilen, Industriebarone, gestützt von mit ihnen kungelnden Medien – die den Banken und Konzernen in die Hände spielen. Die einzigen, die dagegen die Stimme erheben, sind in Italien die Mitglieder der Fünf-Sterne-Bewegung. Nur hat sich das in Deutschland noch nicht herumgesprochen, wie auch, wenn die wesentliche Recherche vieler Italien-Korrespondenten in copy&paste aus genau diesen kungelnden Medien besteht.

In diesen Tagen wird in Italien der Staatspräsident gewählt – der, anders als in Deutschland kein Schleifendurchschneider und Sonntagsredner ist, sondern massiv in die Politik eingreift: Er kann Gesetze ablehnen, löst das Parlament bei Regierungskrisen auf und ist Präsident des obersten Richterrats, dem CSM, wodurch er erheblichen Einfluss auf die Richterschaft ausübt.

Ausser der Süddeutschen Zeitung weint dem soeben aus dem Amt geschiedenen Präsidenten (dem „weisen, alten Mann vom Quirinalshügel“ © Süddeutsche Zeitung) in Italien kaum jemand nach, hat Napolitano doch diese Möglichkeiten weit über seine Grenzen hinaus ausgeschöpft: „König Giorgio“ führt die Hitliste der unbeliebtesten italienischen Staatspräsidenten an. Und das vor allem, weil Napolitano das herrschende Machtgefüge zwischen der Demokratischen Partei und Berlusconi gegen den Willen der italienischen Wähler am Leben gehalten hat  – zuletzt kurz nach den Wahlen 2013, als sich eine Mehrheit der Italiener für einen Wandel ausgesprochen hatte. Um zu verhindern, dass die Fünf-Sterne-Bewegung zusammen mit Teilen der Demokratischen Partei für Stefano Rodotà stimmen würde, einem unabhängigen Geist, Gründervater der italienischen Linken und Kenner der italienischen Verfassung – erklärte sich Napolitano überraschend bereit, sein Amt weiter auszuüben. Im Grunde war das nichts anderes als ein stiller Staatsstreich.

Und weil so viel auf dem Spiel steht, hat Renzi schon den nächsten Staatspräsidenten ausgekungelt, mit seinem Freund Berlusconi, dem amtlich attestierten Gewohnheitsverbrecher, im sogenannten „Pakt des Nazareno“ (so genannt, weil die Unterredung über die Zusammenarbeit zwischen Renzi und B. in der Parteizentrale der PD stattfand). Natürlich nennt er den Namen (des in geheimer Wahl zu wählenden Staatspräsidenten) nicht. Er setzt darauf, dass die Stimmen der möglichen Abweichler seiner Partei von denen der Forza-Italia-Abgeordneten aufgewogen werden – und nicht nur das, wie es heißt, droht er den Parlamentariern der PD damit, in der Wahlkabine ein Foto von dem Wahlschein machen zu müssen, um die Treue zu ihm zu beweisen.

Mit B. zusammen regiert Renzi seit einem Jahr und reformiert zudem mit ihm die Verfassung. Und weil das natürlich irgendwie blöd ist, die Verfassung mit einem zu reformieren, der wegen Steuerbetrugs verurteilt wurde, hat Renzi hat ein neues Gesetz verabschiedet, das die Strafe für B. wegen Steuerhinterziehung null und nichtig erklärt. Damit Renzi bei den nächsten Wahlen wieder auf seinen Freund B. zählen kann, dem ja eigentlich für die nächsten Jahre verboten war, politische Ämter auszuüben. Entdeckt wurde das Ganze von den „umstürzlerischen Kräften“ (O-Ton Napolitano ) von der Fünfsterne-Bewegung. Ein Gesetz, das en passant, die Steuerhinterziehung in Millionenhöhe für straffrei erklärt.

„Hast du je eine so schöne Katastrophe gesehen?“, fragt Sorbas übrigens.

4 Kommentare

  1. Liebe Frau Reski, ich schätze ja ansonsten Ihre Beiträge, auch die über die vielen Untaten Napolitanos, aber der Abschnitt
    „Um zu verhindern, dass die Fünf-Sterne-Bewegung zusammen mit Teilen der Demokratischen Partei für Stefano Rodotà stimmen würde, einem unabhängigen Geist, Gründervater der italienischen Linken und Kenner der italienischen Verfassung – erklärte sich Napolitano überraschend bereit, sein Amt weiter auszuüben. Im Grunde war das nichts anderes als ein stiller Staatsstreich.“
    stimmt ja so wohl kaum. Rodotà stand – wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht – zur Wahl, aber die Schmuseoffensive von Grillo an Bersani (Wählt mit uns R., dann… wer weiß…) lief ins Leere (nachdem Grillo Bersani vor laufenden Videokameras erst um eine Koalition betteln ließ, um ihn dann – wohl weil Bersani die Grillini bei der Wahl zum Senatspräsidenten ausgetrickst hatte – abtropfen zu lassen), Bersani entschied sich für Prodi (der es dann trotzdem nicht wurde).
    Grillo hatte es im übrigen in der Hand, den Wählerwillen zu erfüllen, Bersani hat ihm vor laufender Kamera zugesagt, mit ihm einen Großteil seines Punkteplans sofort durchzuführen; hätte Grillo eine Online-Befragung zur Koalition mit Bersani durchgeführt, hätte er wohl eine Mehrheit dafür erhalten (oder es eben nach eigenem Gusto gemacht, wie vieles andere auch). So hat er das Kunststück geschafft, mit 25% der Wählerstimmen kein einziges seiner Vorhaben durchgesetzt und kaum eines der Regierung verhindert zu haben. Ob er in der Regierung lange geblieben wäre bei der Durchtriebenheit der Politiker, ist allerdings eine andere Frage.

    1. Sehr geehrter Herr Schnittke,

      da sind Sie leider nicht ausreichend informiert.
      Bersani hat der 5 Sterne Bewegung NIE eine echte Koalition angeboten. Er hat sie lediglich gefragt, ob sie SEINE Regierung „erlauben“ „zulassen“ (consentire) würden. Das heißt, er hätte die komplette Regierung gestellt, alles Minister aus seiner Partei und die 5 Sterne Bewegung hätte das mit ihrer Zusage möglich gemacht.
      Daraufhin hat die 5 Sterne Bewegung angeboten, dass sie zu einer Zusammenarbeit bereit wären, wenn Bersani beispielsweise Rodotà als Präsident unterstützt und seine Partei auf die (mittlerweile sogar offiziell als verfassungswidrigen anerkannten) Wahlerstattugen verzichtet. Bersani war aber nicht bereit, sich auf diese Punkte einzulassen.

      Also nochmal ganz klar. Der 5 Sterne Bewegung wurde KEINE Koalition angeboten sondern lediglich eine Zusammenarbeit. Wie würde wohl eine deutsche Partei auf so eine Anfrage reagieren!?

      Noch dazu kam dann später heraus, dass Bersani und Letta diesen Schritt machen mussten, damit ihre Wähler mit einer Koalition (und diesmal ist es wirklich eine KOALITION geworden) mit Berlusconi (!!!) einverstanden wären.
      Hier ist das Video dazu: https://www.youtube.com/watch?v=smAQtot0SUM

      Bersani betont im nächtsen Video auch nochmal, dass er ja nicht „verrückt“ wäre („Sono mica matto“). Er hätte nie ein Bündnis mit Grillo schließen wollen. Das Angebot der Zusammenarbeit wäre an alle gerichtet gewesen: https://www.youtube.com/watch?v=RLi1tc3HFyA

      Und das Fatale ist: In der Zeit der „Koalitionsgespräche“ wurde in den Medien es immer so dargestellt, als ob Bersani der 5 Sterne Bewegung ein Koalitionsangebot gemacht hätte. Und als dann etwas später die Wahrheit von Bersani und Letta herauskam, hat keine der öffentlichen Medien es für nötig erachtet, diese Fehlinformation richtig zu stellen…

      Und so hat sich diese Lüge in den Köpfen der Menschen festgesetzt… es ist wirklich unglaublich dieses Dreieck….

      Sehr schöner Blogeintrag, Petra Reski, vielen Dank!

      1. Liebe Frau Rosen,

        mit der echten Koalition mögen Sie Recht haben, Bersani hat das vielleicht nie wirklich gewollt (und selbst wenn, hätte er es innerhalb des PD wohl nicht durchsetzen können), allerdings argumentieren Sie sehr vom Ende her, von dem, was Bersani und Grillo am Schluss übereinander sage.;
        Im ersten Angebot der Zusammenarbeit (https://www.youtube.com/watch?v=gtLEd_6CYuA) wird einigermaßen explizit auf das M5S-Programm eingegangen; dass das Wort Koalition in diesem ersten Treffen nicht gefallen ist, konnte man damals auch daraus erklären, dass der M5S in seinem codice di comportamento ausdrücklich Allianzen ausschließt, außer bei Abstimmungen zu Punkten, in denen man gleicher Meinung ist („I gruppi parlamentari del MoVimento 5 Stelle non dovranno associarsi con altri partiti o coalizioni o gruppi se non per votazioni su punti condivisi.“), was Ihr Kommentar („Wie würde wohl eine deutsche Partei auf so eine Anfrage reagieren!?“) völlig ausblendet.

        Aber natürlich wäre es Bersani am liebsten gewesen, Ministerpräsident zu werden ohne Koalition.

        Ob – bei anderer Reaktion Grillos – eine Koalition doch möglich gewesen wäre, kann man bezweifeln, aber auch nicht völlig ausschließen. Möglicherweise wäre sie für den M5S auch zu früh gekommen.

        Eine Zusammenarbeit auch ohne Regierungsbeteiligung (also eine Tolerierung der Regierung Bersani im Parlament auf der Grundlage der bei obigem Treffen gemachten „Versprechungen“) hätte aber eine Möglichkeit eröffnet, eigene Programmpunkte durchs Parament zu bringen und wäre in etwa auf das Gleiche hinausgelaufen wie eine Minderheitenregierung des PD, wozu Napolitano wohlweislich nie den Auftrag erteilte, weil er vermutlich befürchtete, dass in diesem Fall die Abgeordneten des M5S eine relativ starke Position innehaben.

        In jedem Fall aber wäre der governissimo verhindert worden, in dem der M5S dann praktisch ohne parlamentarischen Einfluss blieb (selbst beim Besetzen der Kommissionen hat man sie ausgetrickst). Grillo hat die große Koalition dann so kommentiert, dass man ja nun sehe, wie die Parteien in Wirklichkeit tickten, aber das erinnert mich schon sehr an Kindergarten, er hatte es in der Hand, das zu verhindern.

        Wie gesagt, ich hatte damals den Eindruck, dass Grillo, der immer noch stinksauer war, es genoss, Bersani auflaufen zu lassen, nachdem dieser den M5S-Abgeordneten bei der Senatspräsidentenwahl kaum eine Chance gelassen hatte, im Sinne dessen abzustimmen, was Grillo als Parole ausgegeben hatte (eigener Kandidat oder Stimmenthaltung).
        Damit hat er aber auch die zumindest theoretische Chance verspielt, auf die Politik Italiens tatsächlichen Einfluss zu nehmen.

        Ich meine, er hat das wohl auch gesehen, wie anders wäre sonst sein Angebot kurz danach (aber leider nach seinen Schmähreden im Net gegen Bersani) zu deuten (obwohl: eigentlich musste ihm klar sein, dass für Bersani da der Zug schon abgefahren war).
        Die späteren Reaktionen beider (Grillo: wollte nur klarmachen, dass Bersani nie wirklich mit uns arbeiten wollte; Bersani: ich wollte nie eine Allianz, ich bin doch nicht verrückt) sehe ich eigentlich hauptsächlich als jeweiligen Versuch, das Gesicht zu wahren. Versagt haben m.E. beide und damit den Status Quo in der ital. Politik zementiert.

Schreibe einen Kommentar zu D. Schnittke Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert