Fulltime-Skandale

Man kommt ja nicht mehr nach. Den Überblick bei den letzten italienischen Skandalen zu behalten, ist ein Fulltime-Job : Hochwasserschleuse Mose (schön, wenn man einen eigenen Artikel verlinken kann, es geht noch nichts über solide Autoreferenzialität), der ehemalige Innenminister Scajola wegen Verdachts auf Mafiakontakte verhaftet, B.’s Buddy Marcello Dell’Utri endlich nach Italien ausgeliefert und im Gefängnis von Parma gelandet.

Natürlich ist der Mose-Skandal einer der schönsten: Parteiübergreifende Harmonie (und dabei ist das Wort übergreifend ganz wörtlich gemeint: Die Schmiergelder des Consorzio Venezia Nuova wurden sowohl von den Rechten als auch von den Linken abgegriffen. Als Journalist kann man das im über 700 Seiten langen Haftbefehl nachlesen, wobei besonders die Verhörprotokolle interessant sind – aber nicht nur. Auch die Abhörprotokolle sind sehr spannend (Wanzen in Telefonen, Autos, Büros – das nur für die Feinde des Großen Lauschangriffs, den zu übersetzen mir immer so schwer fällt: Vielleicht mit il grande attacco d’origliamento oder il grande spionaggio telefonico oder il grande orecchio, was auf Italienisch sehr komisch klingt, „Horchattacke“, „das große Ohr“ oder die „große Telefonspionage“?).

Am ergiebigsten sind natürlich die Aussagen derjenigen, die – mangels Alternativen – mit der Justiz zusammenarbeiten: der Ex-Präsident des Consorzio Venezia Nuova Giovanni Mazzacurati, oder der größte Aktionär des Consorzio und Ex-Präsident des am Bau der Schleuse beteiligten Bauunternehmens Mantovani, der Ingenieur Piergiorgio Baita, wie auch Baitas Sekretärin.)

Da kommt täglich etwas Neues heraus, praktisch Geld für jeden, für Enrico Lettas Stiftung Vedrò  (die den schönen Untertitel „Italien der Zukunft“ trägt …) allein 60 00 Euro, wie „Il Fatto“ berichtete – remember: Letta war der letzte Ministerpräsident) unter anderem auch für andere venezianische Bürgermeister wie dem – Philosophenbürgermeister – Cacciari oder für den Ex-Bürgermeister Ugo Bergamo – was mich natürlich besonders erheitert hat, weil es mich an den Augenblick bei der Pressekonferenz erinnerte, als eine sympathische spanische Journalistin die Frage stellte, die so offensichtlich war, dass niemand außer ihr den Mut hatte, sie zu stellen: „Angesichts der Tatsache, dass dieses MOSE-Projet schon so lange läuft, sind dann nicht noch andere venezianische Bürgermeister in diesen Skandal verwickelt?“ Eisiges Schweigen im Saal.

Bürgermeister Orsoni also wurde zurückgetreten. Nicht weil er die Schmiergelder eingesteckt hat. Sondern weil er zugegeben hat, sie eingesteckt zu haben. Hätte er geleugnet, geleugnet, geleugnet, wäre er für seine Parteifreunde  in der PD ein Heiliger gewesen. Vermutlich war Orsoni aber klar, dass er nur durch dieses Geständnis eine höhere Gefängnisstrafe vermeiden konnte, schließlich ist der Mann Jura-Dozent für öffentliches Verwaltungsrecht.

Er wollte trotz des Geständnisses Bürgermeister bleiben und tat die bevorstehende Strafe als Kleinigkeit ab: Die vier Jahre seien lediglich ein winziger Blutstropfen, den er habe opfern müssen – eine Strafe kaum höher als für einen Verkehrsunfall. Als aus Rom der Gegenbefehl kam, geißelte Orsoni seine Parteifreunde als heuchlerisch: Noch kurz zuvor hätten sie ihn angefleht, auch bei der nächsten Bürgermeisterwahl wieder zu kandidieren, und jetzt leugne Renzi („Wer ist Orsoni noch?“) ihn gekannt zu haben. Es folgte: Abgang Orsoni. Mit dem schönen Schlusssatz: „Ich habe das Vertrauen in die Politik verloren“.

to be continued …

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