Venedig und die Scharfrichter der Schönheit

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Eine schöne David&Goliath-Geschichte lässt man sich natürlich ungern von der Wirklichkeit versauen. Wie Plastikschrott in den Weltmeeren dümpelt im Netz immer noch das Märchen herum, dass die Gegner der Kreuzschiffe einen Sieg errungen hätten. Was schon vergangenen November nicht stimmte, als nahezu überall die  in copy&paste-Manier aus der italienischen Einheitspresse übernommenen Jubelarien über die „weise“ Entscheidung der italienischen Regierung kursierten. Und natürlich hört man jetzt auch nichts über die traurige Wirklichkeit, nämlich, dass das venezianische Verwaltungsgericht die besagte „weise“ Entscheidung (Die lediglich ein kleines Schönheitspflästerchen war: Die Schiffe waren keineswegs aus der Lagune verbannt, lediglich den Schiffen über 96 000 Bruttoregistertonnen war die Durchfahrt durch das Markusbecken verboten) für null und nichtig erklärte. Nachzulesen hier und hier für diejenigen, die des Italienischen mächtig sind. (Lesenswert auch die englischsprachige Seite des italienischen Kulturschutzbunds Italia Nostra) Ab dem 5. April werden die Giganten wieder am Marktplatz vorbeifahren, ihren Feinstaub wie üblich herabrieseln lassen und die Lagune und die Stadt in Seelenruhe weiter zerstören.

Heute hat Adriano Celentano dazu ein flammendes Pamphlet in „Il Fatto Quotidiano“ verfasst – Celentano ist einer der wenigen, der sich in Italien für Venedigs Schicksal interessiert (mehr dazu auch hier). In der für ihn typischen Celentano-Rage (in Großbuchstaben!) echauffiert er sich über die „Scharfrichter von Venedigs Schönheit“:

  • „Gott wollte, dass Dreiviertel der Erde mit Wasser bedeckt sind. ‚Was für eine Verschwendung‘, dachten die Scharfrichter der Schönheit: Das ganze Wasser hätte man bebauen können. Stellt Euch vor, wie viele Wolkenkratzer man auf Venedigs Lagune hätte bauen können! Und es ist keineswegs gesagt, dass man nicht genau das vorhat. Bis die Regierung die Genehmigung für die Trockenlegung der Lagune gibt, müssen wir uns mit schwimmenden Wolkenkratzern begnügen – sechzig Meter hoch, so hoch wie ein zwanzigstöckiges Hochhaus. „
  • „Aber was mich am meisten getroffen hat, ist festzustellen, dass die wahren Feinde von Venedig die Venezianer sind (…) Ich kann nicht glauben, dass ihr Blick und ihr Geist von ein paar Kröten mehr vernebelt wird – so dass sie gar nicht mehr sehen können, von welcher Schönheit sie umgeben sind. Es gibt keine Stadt auf der Welt, wo das Schöne aus jedem Winkel, aus jedem Zentimeter Stein hervortritt.“

Vor kurzem wurde auf der RAI ein Dokumentarfilm über Venedig ausgestrahlt – in dem man lang und breit die Befürworter der Kreuzschiffe zu Wort kommen ließ (länger und breiter als die Gegner der Kreuzschiffe): die Betreiber der venezianischen Hafengesellschaft, Gondolieri, Wassertaxifahrer – die selbstverständlich alle für die Beibehaltung der Kreuzschiffe in Venedig sind, logischerweise. Warum sich den Ast absägen? 

Am 5. April wird die Kreuzfahrtsaison mit der MSC Preziosa (140 000 Bruttoregistertonnen) wieder eröffnet. Bis Ostern werden 21 Kreuzfahrtschiffe am Markusplatz vorbeigefahren sein. Wer will, kann dann wieder schöne Fotos machen. Luft anhalten nicht vergessen.

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