Frisch aus der Saftpresse

Und als ich mit dem Stapel der deutschen SaftQualitätspresse im Zug nach Deutschland saß, hatte ich so einen Flash. Es war, als läse ich die auf deutsch übersetzte italienische Einheitspresse:

In Deutschland kommt alles immer etwas zeitverzögert an, also auch die Copy&Paste-Berichte über die böse, böse, stalinistische Säuberungsaktion der Fünf-Sterne-Bewegung, die vier ihrer Senatoren ausgeschlossen haben.

Gleich zu Anfang: Ich bin nicht der Meinung, dass der Ausschluss der vier Senatoren eine gute Idee war. Schon aus dem einfachen Grunde, weil die Fünf-Sterne-Bewegung dadurch wieder Wasser auf die ohnehin rauschenden Mühlen der Grillo-Fünf-Sterne-Bashing-Propagandamaschine goss – und das kurz vor den Europawahlen. Renzi braucht im Senat dringend Stimmen  (In Italien sind Gesetze erst dann Gesetze, wenn sie auch vom Senat bestätigt wurden) – weshalb die PD auf nichts anders wartet, als auf ein paar abtrünnige Fünf-Sterne-Senatoren, die von der Aussicht begeistert sind, die üppigen Diäten endlich für sich behalten zu dürfen, und nicht an die italienischen Bürger zurückzuzahlen (womit die Fünf-Sterne-Bewegung bereits 42 Millionen Euro eingespart hat).

Bersani sprach bereits kurz nach den Wahlen letztes Jahr vom „Scouting“, das seitens der PD nun unter den Abgeordneten der Fünf-Sterne-Bewegung betrieben werden sollte – als seien die Fünf-Sterne-Abgeordneten kleine Pfadfinder, die nur auf den rechten Führer warteten. Scouting hört sich auch besser an, als „Wendehälse“ oder „Wetterfähnchen“ (volta gabbana), von denen es im italienischen Parlament nur so wimmelt: Abgeordnete, denen man ein Angebot macht, das sie nicht ablehnen können. Am bekanntesten ist der Fall des Abgeordneten Domenico Scilipoti, Abgeordneter der kleinen Partei „Italia dei Valori“, der von B. gekauft wurde, um 2010 das Mißtrauensvotum gegen B. zu Fall zu bringen. Damals fand in der PD niemand, dass Scilipoti ein Solschenizyn sei oder eine verirrte Seele, die sich endlich zu ihrer rechten politischen Überzeugung bekannte, ganz im Gegenteil.

Ich erinnere mich noch an mein Interview mit Grillo vor einem Jahr, als er sagte: Auch wir werden unsere Scilipoti bekommen. In der Tat. Tatsächlich handelt es sich bei den vier Senatoren um Leute, die mit beträchtlicher Zeitverzögerung feststellen, dass die von ihnen unterzeichneten Regeln der Fünf-Sterne-Bewegung so überhaupt nicht ihren demokratischen Grundideen entsprächen, dass Grillo eine Art Pol Pot sei und Casaleggio ein Charles Manson, weshalb die Senatoren keine Gelegenheit ausließen, sich bei der Repubblica, dem Corriere und der Stampa zu beschweren, Medien, die nur über die Fünf-Sterne-Bewegung schreiben, wenn sie ihr schaden können. Senatoren, die nicht, wenn sie alles so falsch und schrecklich fanden, einfach gegangen sind, sondern auf ein medienwirksames Ausschlussverfahren warteten.

Anders als bei den anderen Parteien, wo es nicht mal einen Saaldiener gibt, der nicht von der Parteispitze ausgewählt wurde – kannten weder Grillo noch Casaleggio diejenigen, die für die Fünf-Sterne-Bewegung in das Parlament und in den Senat einzogen, weil diese nicht per Federstrich ernannt, sondern demokratisch gewählt wurden (Bei B. wurden, je nach Stimmung, Nacktmodelle oder Zahnhygienikerinnen benannt, bei der PD gerne auch Staatsanwälte, die nützlich sein konnten). Und, wenn wir schon mal bei dem großen Wort demokratisch sind: Wie demokratisch geht es denn in der PD zu, wo der Staatspräsident über alles bestimmt, wie lange und wann und ob gewählt wird? Und wo eine Parteigröße (Renzi) den Ministerpräsidenten stürzen kann (Letta), ohne dass die Wähler sich dazu äußern könnten?

Bei der italienischen Einheitspresse wundert mich überhaupt nichts mehr. Aber bei der deutschen SaftQualitäts-Presse schon. Wie wäre es, mal irgendwohin zu recherchieren? Mal ein  Interview zu führen? Mal dem nachzugehen, dass die Fünf-Sterne-Abgeordneten die einzigen waren, die einen Misstrauensantrag gegen Innenminister Alfano stellten, als er auf Geheiß der kasachischen Regierung die Frau und Tochter eines kasachischen Dissidenten entführen ließ? Oder darüber zu berichten, dass die Fünf-Sterne-Abgeordneten ein Mißtrauensvotum gegen die Justizministerin Cancellieri anstrengten, die sich für die  Freilassung der wegen Bilanzfälschung und Kursmanipulation verhafteten Unternehmerin Giulia Maria Ligresti, Tochter des skandalumwitterten Finanzunternehmers Salvatore Ligresti eingesetzt hatte? (Da ist die Schweiz eindeutig schneller). Oder dass die Fünf-Sterne-Abgeordneten als einzige die Anschaffung der F-35-Bomber bekämpft haben, von ihrem Kampf gegen das Schweine-Wahlrecht (Porcellum heißt: Die Italiener wählen dank ihres Wahlrechts keine Kandidaten, sondern nur Parteien – die ihrerseits Nacktmodelle etc. pp. zu Ministern ernennen), vom Kampf der Fünf-Sterne gegen die Vereinfachung der Verfassungsreform ganz zu schweigen?

Ich meine: Das wäre für die deutschen Leser vielleicht doch auch mal ganz interessant, oder?

3 Kommentare

  1. Ja, das wäre für die deutschen Leser tatsächlich mal ganz interessant…. aber von solcher Berichterstattung sind wir erschreckend weit entfernt….

    In der „Kultur“zeit von 3sat wird nicht nur nicht positiv vom Movimento 5 Stelle berichtet, sondern dieses regelrecht defamiert!
    Mit Hilfe eines Interviews von Augias wird die 5 Sterne Bewegung als Sekte dargestellt, deren Anhänger bedingungslos ihrem Führer folgen müssen und auf faschistische Art und Weise den politischen Gegner vernichten wollen!

    Es ist unglaublich, wie hier offenkundig falsch informiert wird, wenn nicht sogar manipuliert wird. Über die Musik wird klar gemacht, dass es sich beim Movimento 5 Stelle um eine Bedrohung und rein „zufällig“ wird die Szene in der eine Parlamentarierin des Movimento 5 Stelle von einem Abgeordneten von Celta Civica geschlagen wird gezeigt, während die Tumulte im Parlament mit dem italienischen Faschismus in Verbindung gebracht wird….

    Ich bin wirklich austiefstem Herzen erschrocken, was unsere Prese uns da liefert.
    Was sie uns wohl sonst noch alles für Lügen auftischt, die wir nicht nachvollziehen können, weil wir es einfach nicht wissen (können)??

    Hier der Link zu dem Video:
    http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2115834/Angst-vor-Europa—Wie…#/beitrag/video/2115834/Angst-vor-Europa—Wie…

  2. Sicher ist der M5S die einzige Hoffnung in der italienischen Politik. Und sicherlich hat Grillo gute Gründe (nicht zuletzt die begründete Angst, dass man ihn und die Seinen austrickst, wo es geht), einer Zusammenarbeit mit anderen Parteien aus dem Wege zu gehen.

    Andererseits bewirkt diese Haltung, dass bisher keines der angestrebten Ziele erreicht und auch keine einzige Schweinerei verhindert wurde (und das Anprangern merken nur die, die den Blog oder den „Fatto“ lesen), was vor allem gemäßigte Wähler, die dem „tutti a casa“ zwar innerlich wohlwollend, aber durch Logik und Erfahrung ein wenig realistisch gegenüberstehen, sehr enttäuscht.

    Die Vorgänge um die vier Abgeordneten (egal, wie man deren Rauswurf bewertet) zeigen zudem die strukturelle Schwäche der „Bewegung“, einige mit den herrschenden Gesetzen nicht vereinbare Widersprüche im Kodex sowie eine ziemlich naive (um nicht zu sagen: dümmliche) Vorstellung von Internet und „Netzdemokratie“, und weder Casaleggio noch Grillo scheinen in der Lage oder willens, diese Dinge anzugehen. Nur: will man sich wirklich wünschen, der M5S bekäme unter diesen Voraussetzungen 40% der Stimmen?

    Und wenn Grillo noch ein paar weitere Kostproben seiner demokratischen Grundüberzeugung a la „Kabobo“ oder seinem Auftritt mit Renzi abliefert, finden sich auf seinem Blog (selbst dort war übrigens der Rauswurf nicht wirklich nachvollziehbar begründet) und unter seinen Fans bald nur noch solche wie diejenigen, die Frau Boldrini zur Jagd freigeben wollen.

    Beschäftigt man sich eingehender mit den altbekannten Parteien Italiens, so überkommt einen ein unbeschreiblicher Ekel. Den gibt es bei Grillo (vielleicht auch nur für zart Besaitete wie mich) derzeit ganz ohne Mühe, und bei der herrschenden Schnäppchen-Mentalität könnte auch dies ein Grund dafür sein, dass deutsche Medien so berichten, wie sie es tun.

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