Solidarität mit Francesca Viscone II

(Übersetzung des Originalartikels aus Ossigeno)

KALABRIEN: DIE GESÄNGE DER MAFIA, HINTER DENEN SICH ‘NDRANGHETA UND DROHUNGEN GEGEN JOURNALISTEN VERBERGEN

 

„Ich werde Euch ruinieren“, sagte der Fotograf Francesco Sbano, als er in das Museum der ‘Ndrangheta von Reggio Calabria eindrang und die dort Beschäftigten sowie die Journalistin Francesca Viscone bedrohte: Eine Journalistin, die nicht nur Dozentin, sondern auch Mafiamusik-Expertin ist, und die seit mehr als zehn Jahren Sbanos Strategie kritisiert, heimtückisch mafiose Werte als volkstümliche Kultur auszugeben – um so das blutige Gesicht der organisierten Kriminalität zu verbergen. Viscone: „Ich wusste, dass ich mir Feinde geschaffen habe und bin beunruhigt.“

Ossigeno – Reggio Calabria, 26. Juli 2012
Er ist in das Museum der ‘Ndrangheta von Reggio Calabria am späten Nachmittag eingedrungen und hat sowohl die anwesenden Beschäftigten als auch die freie Journalistin und Dozentin Francesca Viscone bedroht, die nicht anwesend war. „Ihr verursacht uns einen Haufen Schaden. Ich werde Euch ruinieren“, schrie Francesco Sbano in drastischer Lautstärke. Sbano ist ein kalabrischer, aus Paola stammender Fotograf mit Wohnsitz in Hamburg. Drei junge Mitarbeiter von Claudio La Camera, dem Koordinator des Museums, waren seinen lautstarken Angriffen ausgesetzt. Wie die Antimafia-Organisation Libera in einer Solidaritätsnote mitteilt, beleidigte Sbano Francesca Viscone mit dem Schimpfwort, „das beschränkte Männer üblicherweise Frauen gegenüber anwenden“.
Sbano akzeptiert die kritische Analyse der Journalistin nicht, die als Expertin in dieser Materie wiederholt ihre negative Meinung über den Wert der von Sbano in Deutschland erfolgreich produzierten (in Deutschland 150 000 mal verkauft) Trilogie „Canzoni della malavita“ ausgedrückt hat. Ebensowenig erträgt es Sbano, dass das Museum einige Lieder dieser Trilogie in den Werkstätten für die Erziehung zur Legalität in Schulen benutzt, wo sie als negatives Beispiel für die Verherrlichung mafioser Werte dienen.

Nachdem Sbano in das Museum der ‘Ndrangheta eingedrungen ist, hat La Camera bei der Antimafia-Staatsanwaltschaft von Reggio Calabria Anzeige gegen die Drohungen erstattet. Aber auch Francesca Viscone will die Dinge nicht einfach laufen lassen und bereitet eine Zusammenfassung vor, um den Antimafia-Staatsanwälten ihre zehnjährige Arbeit zu erläutern. „Ich unterrichte Deutsch in Lamezia Terme und habe in Deutschland gelebt“, sagt die Journalistin, „und ich empfand es als eigenartig, dass diese Mafia-Gesänge in Deutschland einen so großen Erfolg hatten. Also habe ich mich für das Thema interessiert, ich habe Sbano im Jahr 2000 interviewt und einen kritischen Artikel für das Monatsheft der Region Kalabrien geschrieben.“

Sbano reagierte erst im Jahr 2005, als Viscone kurz davor war, bei dem Verlag Rubettino ihr Buch „Die Globalisierung der bösen Ideen. Mafia, Musik, Massenmedien“ zu veröffentlichen: „Sbano rief mich und den Verlag an und forderte, das Buch nicht zu veröffentlichen. Er fühlte sich diffamiert. Er ließ sogar einen Brief durch einen Anwalt schicken, aber das Buch erschien trotzdem. Seitdem habe ich von Sbano nicht mehr gehört.“ Ende Mai informierte Claudio La Camera die Journalistin über den Vorfall im Museum der ‘Ndrangheta in Reggio Calabria.

„Nach dem Erscheinen der CD-Alben und der Konzerte berichteten einige europäische und amerikanische Zeitschriften über diese Gesänge (die unter anderem die Ermordung des Generals Dalla Chiesa verherrlichen, Anm. d. Red) und präsentierten sie als Ausdruck volkstümlicher kalabrischer Kultur,“ sagt Francesca Viscone. „Die Zeit, Der Spiegel, Le Monde, Newsweek und The Times schickten Korrespondenten nach Kalabrien, um dank der Vermittlung von Sbano selbsternannte Bosse zu interviewen. In meinem Buch habe ich aufgezeigt, dass der Vertrieb der ‘Ndrangheta-Lieder kein kultureller Selbstzweck ist, sondern Teil einer Kommunikationsstrategie, die das Ziel hat, mafiose Werte in Deutschland zu verbreiten und die Macht der ‘Ndrangheta gleichzeitig zu verbergen.“ In den letzten Jahren hat Francesca Viscone mehrere Artikel und Abhandlungen zu diesem Thema veröffentlicht. Kürzlich hat sie darüber auch einen Artikel für die Antimafia-Zeitschrift „Narcomafie“ geschrieben.

Sbano wird sowohl in Deutschland als Mitarbeiter geschätzt (Der Spiegel veröffentlicht seine Fotografien und rühmt die Fähigkeiten des Fotografen, Kontakte zu Bossen herzustellen) als auch in Italien: Sein Dokumentarfilm „Männer der Ehre“, in dem kapuzentragende Männer Sentenzen wie „Wenn die ehrenwerte Gesellschaft stirbt, sterben auch die Kalabresen“ von sich geben, wurde von Cinecittà Luce vertrieben und 2006 von der in San Luca ansässigen Corrado-Alvaro-Stiftung prämiert. Die ‘Ndrangheta-Lieder finden sich auch in Mailänder Bibliotheken.

Das letzte Werk des Fotografen aus Paola ist das Buch „Die Ehre des Schweigens. Ein Mafiaboss packt aus“, das in Deutschland erschien. „Sbano ist sehr geschickt, er pflegt wichtige Kontakte im europäischen Journalismus. Seine Darstellung, dass die ‘Ndrangheta nichts anderes als eine traditionelle Kultur sei, die ausschließlich zu Kalabrien gehöre, wird im Ausland als sehr beruhigend empfunden: Wenn es sich um eine typische Kultur handelt, kann sie woanders keine Wurzeln fassen. Die ausländischen Journalisten haben eine große Verantwortung, sie begreifen offenbar nicht, dass auf diese Weise mafiose Werte vermittelt werden. In Italien haben meine Veröffentlichungen dazu geführt, dass Sbanos Arbeit an Glaubwürdigkeit verlor: Nachdem es anfänglich vor zehn Jahren ein starkes Interesse gab, sprechen die italienischen Journalisten heute nicht mehr von seiner Trilogie.“

Die Gesänge der ‘Ndrangheta sorgen jedoch weiter für Aufmerksamkeit: Der Bildband „Malacarne“ von Alberto Giuliani
erschien zusammen mit den von Sbano produzierten CDs. In dem Bildband wurden auch Texte namhafter Antimafia-Kämpfer veröffentlicht, darunter Rita Borsellino, Nicola Gratteri, Roberto Saviano, ohne dass diese ahnten, dass ihre Texte zusammen mit den ‘Ndrangheta-Lieder vertrieben wurden. Auch darüber schrieb Francesca Viscone, im Blog von Strozzateci Tutti und im Quotidiano della Calabria hat sie den Vorfall beschrieben – worauf die Redaktion von Sbano telefonisch bedroht wurde. „Die Redaktion des Quotidiano hat mir immer Platz eingeräumt und mich unterstützt, von den telefonischen Drohungen habe ich erst jetzt erfahren. Man hatte mir nichts davon gesagt, um mich nicht zu beunruhigen,“ sagt Francesca Viscone.

„Natürlich war mir klar, dass ich mir mit all diesen Veröffentlichungen Feinde geschaffen habe,“ sagt Francesca Viscone. „Aber was mir zu denken gibt, ist die Irrationalität von Sbanos Verhalten: Wie kann er auf die Idee kommen, vor Zeugen und Videokameras straflos Menschen bedrohen zu können? Offenbar ist er davon überzeugt, Menschen erfolgreich einschüchtern zu können, ohne dass jemand das Wort erhebt – weil das Stereotyp besagt, dass sich in Kalabrien niemand wehrt, niemand rebelliert. Und das Schimpfwort, mit dem er mich bedachte, beweist, dass er mit seiner Macho-Ideologie Reaktionen von Frauen erst recht nicht erträgt. Wenn die Beschränktheiten enthüllt werden, auf denen er glaubte, seinen Erfolg aufzubauen, ist  klar, dass er dann die Kontrolle verliert. Und das macht mir natürlich Sorgen“
Francesca Viscone ist die zehnte Journalistin, die in Kalabrien im Jahr 2012 bedroht wurde.

Daniele Ferro für Ossigeno.