Jeden Tag hoffe ich, die Glühbirnen-Girlanden endlich leuchten zu sehen. Vergeblich. Und jeden Tag hoffe ich, hier jemanden lächeln zu sehen. Aber auch das geschieht so selten, dass ich zusammenzucke, wenn es doch passiert. Meistens lächeln Leute, die über siebzig Jahre alt sind. Das hat jedenfalls meine persönliche Statistik ergeben. Alle anderen scheinen es nie gelernt zu haben. Oder sie haben es gelernt und dann nie wieder praktiziert, Fremdsprachen verlernt man ja auch, warum nicht auch das Lächeln.
Mein Reiseführer nennt es den „neutralen“ Gesichtsausdruck der Russen – und der kann schon nach einer Woche Aufenthalt zur Folter werden. Jeder bemüht sich hier darum, wie die Models auf Fashion-TV zu blicken, Botox hat hier keine Chance, bei Russen besteht keine Gefahr von Mimikfalten.
Ausländer mit ihren expressiven Gesichtern und lauten Stimmen würden von den Russen leicht als lächerlich empfunden, schreibt der Reiseführer. Und noch mehr, würde ich sagen, denn jedes Mal, wenn wir „Guten Tag“ sagen oder „Danke“, dann werden wir so vorwurfsvoll angeblickt, als hätten wir einen obszönen Witz erzählt.