Lutscher-Journalismus

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Wer die letzten Jahre im Busch oder im Koma verbracht hat und jetzt zum ersten Mal wieder deutsche Zeitungen liest, der muss Matteo Renzi für den Papst oder den König von Deutschland halten. Nahezu täglich wird der italienische Ministerpräsident zur Lichtgestalt, zum Messias und Erlöser nicht nur Italiens, sondern ganz Europas verklärt.

Das Rennen um die beste Hofberichterstattung wird siegreich von der süddeutschen Zeitung angeführt, dicht gefolgt von der  Wirtschaftswoche, dem Handelsblatt und der ZEIT (leider ist das letzte Interview mit Maria Elena Boschi noch nicht online, eine Perle). Die FAZ gibt sich noch hin und wieder mäkelig, wegen des italienischen Haushaltsdefizits, das sie trotz aller Charme-Offensiven nicht zu schlucken vermag, der Spiegel lobte sich wieder tapfer und stetig vor, nachdem er vorübergehend leicht abgeschlagen schien und ich schon kurz davor war, mir Sorgen zu machen – bis ich merkte, dass die Abgeschlagenheit des Spiegel nicht einer Immunität gegenüber der allseits grassierenden Renzitis geschuldet war, sondern eher der Tatsache, dass man sich an der Ericusspitze für Italien nur ganz am Rande, vorzugsweise in Form von mit Pistolen garnierten Spaghetti interessiert.

Jetzt aber hat sich der Außenseiter mit einer von Giuliano Ferrara verfassten Renzi-Eloge ganz nach vorne geputscht: Eine derart speichelleckerische Jubelarie („Einer wie Berlusconi. Warum mich in unseren Premier Matteo Reni verguckt habe“) hätte sich nicht mal die notorisch renzitreue Repubblica zu veröffentlichen getraut. Zumal die Spiegel-Leser nicht wirklich verstehen können, wer dieser schwer in Renzi verliebte Ferrara eigentlich ist. Und warum sie das jetzt lesen müssen. Denn von Giuliano Ferrara erfahren sie nur das, was der knappe Vorspann vorgibt:

Ferrara gehört zu den bedeutendsten, aber auch umstrittensten Intellektuellen Italiens. Der konservative Römer galt als enger Vertrauter Silvio Berlusconis. An Regierungschef Matteo Renzi, der seit gut zwei Jahren im Amt ist und derzeit mit Korruptionsaffären sowie Kritik an der geplanten Verfassungsreform kämpft, beeindrucken Ferrara vor allem dessen Energie und Furchtlosigkeit.

 

Wer in Italien lebt, kennt Giuliano Ferrara schon etwas länger. Und vermutlich kämen nicht mal seine besten Freunde auf die Idee, ihn als „Intellektuellen“ zu bezeichnen. Eher als Hofschranze der Macht, wobei Ferrara nicht wählerisch ist: Er fing seine Karriere als Kader der kommunistischen Partei an, wozu ihm sein Vater, ein Senator der KPI, verhalf, als die KPI noch mächtig war. Kaum war die Mauer gefallen, streifte Ferrara den Kommunisten ab, um Craxianer unter Craxi, Berlusconianer unter Berlusconi und jetzt natürlich Renzianer unter Renzi zu werden.

Bis Januar 2015 leitete Giuliano Ferrara die Berlusconi-Hauspostille „Il Foglio“ – praktisch das Blatt, das für B. die Dreckarbeit übernahm, also Diffamierungskampagnen jeder Art, die auf Italienisch als „macchina del fango“ bezeichnet werden: als Dreckschleuder, die politische Gegner, innerparteiliche Abweichler und vorzugsweise natürlich Staatsanwälte treffen sollte, Berlusconis bête noire. Einen von Ferraras letzten großen Auftritten kann man auf YouTube genießen, als Ferrara, der seine Artikel stets mit Elefantino zeichnet, mit roter Perücke die (rothaarige) Mailänder Staatsanwältin Ilda Boccassini besingt – 

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die gegen Berlusconi den Prozess wegen Amtsmissbrauch und Prostitution Minderjähriger führt. Womit sich Ferrara in bester Gesellschaft mit Berlusconis Nüttchen befindet, die, wie wir aus den Gerichtsakten wissen, damit glänzten, sich während seiner „eleganten Abendessen“ gelegentlich ebenfalls als Ilda Boccassini zu verkleiden.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage: cui bono est?, wie wir Lateiner sagen: Wem also nützt die Renzi-Propaganda? Wo wir ihn in Deutschland doch gar nicht wählen können?

Renzi ist für die deutschen Sozialdemokraten und den ihnen zur Verfügung stehenden Medien die einzige Lichtgestalt. Trotz der Mühen der Reinigungskraft, die Gabriel zur Hilfe kam, läuft es nicht mehr so richtig rund in Deutschland. Kein Funken Leben mehr in der SPD.

Da hat man sich in den Redaktionsstuben gedacht: Von Renzi lernen, heißt siegen lernen. Okay, ist in Deutschland nicht ganz so einfach wie in Italien, weil die Deutschen bekanntlich etwas nachtragend und nicht so vergesslich sind wie die Italiener, und die Mafia läßt sich auch nur so hintenrum benutzen, noch nicht so offensiv wie in Italien, aber irgendwas wird doch hinzukriegen sein, mit etwas Propaganda auf allen Kanälen – immerhin darin haben wir doch etwas geschichtliche Erfahrung, oder nicht?

Und Renzi ist natürlich auch ganz glücklich darüber, dass ihm aus Deutschland jetzt eine Hand gereicht wird, praktisch also eine win-win-Situation. Auch weil ihm ständig seine Leute wegverhaftet werden, und er wegen seiner anstehenden Verfassungsreform etwas in der Klemme ist, über die ich mich schon mal ausgelassen habe. Eine Verfassungsreform, die von Verfassungsrechtlern wie Gustavo Zagrebelsky, dem Kulturkritiker Salvatore Settis oder dem Generalstaatsanwalt von Palermo, Roberto Scarpinato, massiv kritisiert wird. Also nicht unbedingt von Black Bloc.

Denn das, was Renzi jetzt als „Jahrhundertreform“ verkauft – ist nichts anderes als ein gigantisches Hütchenspiel: Nicht der Senat wird halbiert, sondern die Demokratie in Italien. Der Senat wird keineswegs abgeschafft, wie in den deutschen Medien in copy&paste-Manier behauptet wird, sondern lediglich mundtot gemacht: In Zukunft sitzen im Senat nicht mehr von den Bürgern gewählte, sondern nur noch von den Parteien bestimmte Bürgermeister und Regionalpräsidenten.

An dieser Reform ist Berlusconi übrigens gescheitert. Ich erinnere mich noch daran, wie seine von Berlusconis Gegnern stets bejubelte Ex-Frau Veronica sagte: „Dürfte ich eine Bitte äußern? Falls mein Mann in Zukunft wieder einmal versuchen sollte, mich einzubeziehen, etwa um seine Verfassungsreform zu verteidigen – bitte, tun Sie mir einen Gefallen: Rufen Sie mich nicht an.“

2 Kommentare

  1. Nach den Mini-Berichten in den deutschen Medien über die italienischen Kommunalwahlen bin ich ausgesprochen begeistert über diese Erklärungen, die ich einleuchtend finde. Ich hoffe nur, dass die Deutschen wirklich so ein gutes Gedächtnis haben, wie Sie, liebe Frau Resky, vermuten. Dass die SPD wieder mal einen Parteivorsitzenden hat, den sein dummes Geschwätz von gestern nicht interessiert, stellen Menschen mit gutem Gedächtnis schon lange fest, aber leider kommen sie mit Ihren Stellungnahmen nicht in die Printmedien.

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