Der neapolitanische Mafia-Forscher Isaia Sales hat in diesem Artikel die enge Verbindung zwischen der Mafia und den italienischen Rechtsterroristen in diesem Artikel sehr überzeugend herausgearbeitet, deshalb hier die Übersetzung.
Auch ich wurde auf diese enge Verbindung schon während meiner journalistischen Anfänge in Palermo 1989 aufmerksam gemacht – eine Verbindung, die sich, wie ich in den Jahren beobachten konnte, über die Jahrzehnte festigte – und die nicht zuletzt den Aufstieg und die Herrschaft von Silvio Berlusconi ermöglichte. Die enge Verbindung zwischen rechtsextremen Terror und Mafia ist der eigentliche rote Faden von Italiens Geschichte.
Die spektakulären Morde der Mafia, wie auch die Massaker außerhalb Siziliens, haben eine Besonderheit, die es zu entschlüsseln gilt. Erstens wurden sie erst ab 1971 begangen, mit der Ermordung des Richters Pietro Scaglione, fast 80 Jahre nach dem letzten hochrangigen Mord auf der Insel, dem an Emanuele Notarbartolo im Jahr 1893, dem ehemaligen Bürgermeister von Palermo und Direktor der Banco di Sicilia, auf Befehl des Abgeordneten Raffaele Palizzolo.
Sicher, es gab schon vorher viele Morde an Bürgermeistern, Gewerkschaftern, Händlern und Fachleuten, aber ab 1971 brach ein regelrechter „Krieg” gegen Vertreter der Institutionen aus. Fast 80 Jahre lang gab es keinen einzigen Mord an einer prominenten Persönlichkeit, und dann kam es in zwei Jahrzehnten (1971-1992) zum massivsten Angriff auf Vertreter der Institutionen, den es jemals in Europa gegeben hat, außer vielleicht unter dem Nationalsozialismus. Es ist durchaus rational anzunehmen, dass externe Faktoren zu dieser Veränderung beigetragen haben.
Zur gleichen Zeit begannen die Morde an Richtern durch links- und rechtsradikale Terroristen. Zwischen 1971 und 1992 wurden 14 Richter von der Mafia ermordet, während 12 von Terroristen der extremen Linken und Rechten getötet wurden. Gleichzeitig wurden auch mehrere Vertreter der Ordnungskräfte bei bewaffneten Zusammenstößen oder in Einzelanschlägen getötet. Die Ziele, die Vorgehensweisen und der geschichtliche Zeitraum sind dieselben.
Während Richter und Angehörige der Sicherheitskräfte überall auf der Welt traditionelle Ziele von Terroristen sind, gab es in Sizilien einen expliziten Pakt, um Mafiosi Straffreiheit zu garantieren: Richter, Polizisten und Carabinieri durften nicht angerührt werden.
Auch der Einsatz von Sprengstoff und nicht nur von traditionellen Waffen lässt auf gemeinsame Lieferanten schließen. Und es ist schwer vorstellbar, dass der Transport solchen Materials von den Sicherheitsbehörden unbemerkt bleibt. Auf jeden Fall ist der Einsatz von Bomben eine Vorgehensweise, die die Mafia von den Neofaschisten kopiert hat. Warum dieser radikale Strategiewechsel? Terroranschläge sind eine Vorgehensweise, die in krassem Gegensatz zur gesamten Geschichte der Mafia steht. Dass plötzlich beschlossen wurde, Anschläge nicht gegen einzelne Feinde, sondern gegen symbolträchtige Orte (Kirchen, Museen, Polizeistationen) und dazu noch außerhalb Siziliens zu verüben, lässt berechtigte Zweifel daran aufkommen, dass die sizilianische Mafia diese Strategie allein entwickelt hat. Ebenso viele Fragen wirft die spektakuläre Irreführung der Ermittlungen nach der Ermordung von Paolo Borsellino und seiner Leibwächter auf, bei der mit Hilfe eines falschen Kronzeugen eine Ermittlungslinie aus dem Nichts erfunden wurde, angeführt vom Polizeichef von Palermo, Arnaldo La Barbera, einem Mitarbeiter des Geheimdienstes.
Da die Mafia keine Tradition als Terrororganisation hat, knüpft sie, als sie beschließt, eine Destabilisierungskampagne zu starten, um eine Einigung mit der neuen Führungsklasse zu erreichen, auch Kontakte zu den besten Experten für diese Strategie, den Geheimdiensten, und zu den wichtigsten Ausführenden, den Neofaschisten.
Die Verflechtung zwischen Mafia und rechter Subversion fand auch in Kalabrien breite Bestätigung. Am 22. Juli 1970 entgleiste der Freccia del Sud, der Schnellzug von Palermo nach Turin, wenige hundert Meter vor dem Bahnhof von Gioia Tauro. Sechs Menschen kamen ums Leben. Nur acht Tage zuvor hatte der Aufstand von Reggio Calabria begonnen, nachdem der Stadt die Rolle als Hauptstadt der Region verweigert worden war. Die subversive Bewegung „Boia chi molla” (Tod dem Verräter) hatte eine Vereinbarung mit der ‚Ndrangheta-Familie De Stefano getroffen. Im Jahr 1993 sagte der Kronzeuge Giacomo Lauro im Rahmen des Prozesses „Olimpia 1” aus, dass es der Neofaschist Vito Silverini war, der die Bombe gelegt hatte, die den Zug entgleisen ließ, als Vorbereitung für einen Putschplan von Junio Valerio Borghese zusammen mit den Neofaschisten der Avanguardia Nazionale. Der Putsch war für den 8. Dezember 1970 geplant, und Borghese, ehemaliger Kommandant der X Mas und von 1951 bis 1953 Präsident der MSI, bat auch die sizilianische Mafia um Hilfe. Der Boss Luciano Liggio prahlte damit, dass er sich geweigert hatte, daran teilzunehmen.
Giovanni Falcone hielt den Neofaschisten Giusva Fioravanti, der von der Frau des Präsidenten auf den Fahndungsfotos zusammen mit Gilberto Cavallini erkannt worden war, für einen der Mörder von Piersanti Mattarella. Diese Ermittlungshypothese wurde später verworfen.
Aber genau zu dieser Zeit waren mehrere Vertreter des rechtsextremen Terrorismus in Sizilien präsent. Fioravanti war es laut Aussage seines Bruders Cristiano auf jeden Fall. Und Tatsache ist, dass Paolo Bellini, der wegen des Anschlags auf den Bahnhof von Bologna am 2. August 1980 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, dem Boss Antonino Gioè vorgeschlagen hatte, mit Anschlägen auf das italienische Kulturerbe zu zielen. Die Bomben wurden nämlich vor einigen der schönsten Kirchen der Hauptstadt und nur wenige Meter von den Uffizien in Florenz gezündet.
Bellinis Frau hat gesagt, dass ihr Mann in den Tagen des Attentats auf Falcone in Palermo war. Genauso wie der rechtsextreme Terrorist Stefano Delle Chiaie zwischen 1991 und 1992 in Sizilien war. Warum tauchen so viele Anführer der neofaschistischen Umsturzbewegung, die für Massaker verantwortlich sind, die die Geschichte Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt haben, gleichzeitig an den Orten „prominenter“ Morde auf?
Nur sechs Monate nach der Ermordung Mattarellas gab es den Anschlag auf den Bahnhof von Bologna (85 Tote), an dem dieselben rechtsextremen Terroristen beteiligt waren, die Falcone als Mörder des sizilianischen Präsidenten beschuldigt hatte. Das Urteil des Schwurgerichts von Bologna bekräftigt, dass die Strategie der Spannung von abtrünnigen Organen des italienischen Staates (Federico Umberto D’Amato, Leiter eines Büros des Innenministeriums) zusammen mit dem Chef der Loggia P2 (Licio Gelli) entwickelt und von neofaschistischen Terroristen umgesetzt wurde. Ein weiterer hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter, General Maletti, wurde als Mitverantwortlicher für das Attentat auf der Piazza Fontana in Mailand im Dezember 1969 zu 15 Jahren Haft verurteilt. Für den Anschlag auf die Georgofili in Florenz im Mai 1993 sagt ein Bericht der Antimafia-Kommission, dass neben den Mafiosi auch andere Leute beteiligt waren, die das TNT verstärkt haben, um die Explosion noch verheerender zu machen.
Die ideologische Nähe zwischen der Mafia und dem Rechtsterrorismus ist ganz klar in der Verherrlichung von Gewalt als Mittel zur Regelung menschlicher und politischer Beziehungen und als Motor der Geschichte zu sehen. Die stärkste Verbindung ist aber die gemeinsame Abneigung gegen den Kommunismus. Die Mafia verband ihren Antikommunismus mit den Interessen der DC, die neofaschistischen Umstürzler hingegen mit denen der Geheimdienste, die die Strategie der Spannung entwickelt hatten, um die italienische Kommunistische Partei an der Macht zu hindern. Geheimdienstapparate waren damit beschäftigt, Anschläge zu verüben oder sie zu vertuschen, anstatt sie zu vereiteln. In diesem Sinne wurde der rechtsextreme Terrorismus, der sich in einem Krieg gegen die bestehende Ordnung und gegen die roten Feinde des Westens sah, von allen geheimen Mächten beeinflusst, die in die gleiche Richtung zogen: die Freimaurer um Licio Gelli, die bewaffneten Strukturen des Kalten Krieges (Gladio), italienische und ausländische Geheimdienste. Unter den bewaffneten Verfechtern gegen die kommunistische Gefahr war auch die Mafia. Es ist schwer, diese Tatsache unserer Geschichte zu leugnen.