Die Mafiosi von nebenan

 

Es gibt auch jede Menge kleiner, scheinbar farbloser Mafiosi. Etwa jenen ’Ndranghetista, der erst als Stahlarbeiter in Herne arbeitete, dann zum Pizzabäcker wurde, um sich besser um die Geschäfte zu kümmern, und der den deutschen Behörden bei einer Verkehrskontrolle auffiel: Sein Auto war nicht haftpflichtversichert. Nicht wegen Mafia-Zugehörigkeit erging gegen ihn ein Strafbefehl, sondern wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz. Zwanzig Tagessätze à zwanzig Mark.

Podiumsdiskussion an der Humboldt-Universität zu Berlin. Das Thema: »Die Mafia gemeinsam bekämpfen«. Eingeladen haben Antimafia-Initiativen, darunter Viva, die erste Antimafia-Initiative auf deutschem Boden, die in Berlin kurz nach dem Massaker von Duisburg ins Leben gerufen wurde – von Bernd Finger, dem Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität des Landeskriminalamts Berlin. Und von Laura Garavini, einer in Berlin lebenden Linksdemokratin, die im italienischen Parlament die Auslandsitaliener vertritt und Mitglied der italienischen Antimafia-Kommission ist.

Zusammen mit anderen Referenten sitzen beide hier im bleichen Licht des Seminarraums, wie Lehrer vor einer Schulklasse. Der Fahnder Bernd Finger spricht darüber, wie 53 italienische Gastronomen in Berlin kurz nach den Attentaten von Duisburg um Schutzgeld erpresst wurden – und wie die Erpresser festgenommen und verurteilt werden konnten, weil über die Hälfte der erpressten Gastronomen sich bei der Polizei gemeldet hatten. Dies geschah aufgrund einer kurz nach der Mordnacht von Duisburg getroffenen Sicherheitsvereinbarung zwischen der Berliner Polizei und italienischen Gastronomen.

Laura Garavini verlangt, europaweit die Antimafia-Gesetzgebung zu vereinheitlichen, sie nennt Zahlen des in Italien beschlagnahmten Mafia-Vermögens: allein in Palermo eine Milliarde Euro, in der Zeit von 2005 bis 2007. Sie warnt vor der Infiltration der legalen Wirtschaft.

Der Mann neben ihr, der SPD-Abgeordnete Klaus-Uwe Benneter, schaut auf die Uhr. Es gebe ja unterschiedliche Ansichten über das Ausmaß der Organisierten Kriminalität, sagt er schließlich und lächelt so milde, als hätte er gerade zwei sympathischen Verschwörungstheoretikern zugehört.

Benneter ist Mitglied im Rechts- und Innenausschuss des Bundestages. So wie er denken viele Fachleute in den Ministerien. Natürlich, sagt er, sei auch klar, dass seit 2001 die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus Priorität habe. Und ansonsten: Angeblich werde in Deutschland der Versuch gemacht, Geld zu waschen. Angeblich.

Dann verabschiedet er sich. Er hat noch eine wichtige Verabredung.

Die nationale Antimafia-Behörde in Rom befindet sich in einem Palazzo, der aussieht wie eine barocke Festung. Vincenzo Macrì ist hier Leitender Oberstaatsanwalt, sein Büro wird von einem Ficus Benjamini im ewigen Herbst geschmückt und einem Fernseher, auf dem den ganzen Tag der Teletext läuft.

Macrì ist wohl der profundeste Kenner der ’Ndrangheta. Mit leiser Stimme spricht er darüber, dass die ’Ndrangheta ihre Investitionen in Deutschland im großen Stil mit den Lösegeldern der siebziger und achtziger Jahre anschob – mit Geldern aus der Entführung des Getty-Enkels und norditalienischer Industrieller. Nach Investitionen in die Gastronomie, in Hotels und Immobilien sei die Mafia in letzter Zeit verstärkt in die Bauindustrie in Deutschland eingedrungen. Die Kontrolle und Manipulation von öffentlichen Bauaufträgen sei ihre Spezialität, Bestechung ihre leichteste Übung.

Nein, die internationale Zusammenarbeit könne er nicht beklagen, die deutschen Polizisten könnten auch nicht mehr erreichen, als ihnen die Gesetze erlaubten. Die Gefahr für Deutschland bestehe vor allem darin, dass die Öffentlichkeit nicht in der Lage sei, die Signale zu lesen, die von der Mafia ausgingen: Man vertraue darauf, dass es sich dabei um scheinbar normale Personen handele, die nichts anderes machten, als ein Restaurant zu betreiben, ein Hotel, ein Unternehmen.

Es handele sich um ein Phänomen, das er in fast gleicher Form in der Lombardei beobachte. Da gebe es norditalienische Unternehmer, die behaupteten, den Namen ’Ndrangheta nur aus dem Lexikon zu kennen. Und wenn die Antimafia-Staatsanwälte in Mailand vor mafiöser Infiltration warnten, dann beschwere sich die Bürgermeisterin, weil sie das für eine Verunglimpfung der Stadt halte.

Macrì blickt wieder auf den Teletext: Das italienische Parlament hat beschlossen, das Abhörgesetz abzuschaffen. In Zukunft darf nur noch derjenige abgehört werden, dessen Schuld bereits bewiesen wurde.

Seitdem es kaum noch Mafia-Abtrünnige gibt, ist das Abhören das wichtigste Werkzeug bei Mafia-Ermittlungen. Giovanni Strangio würde immer noch in Amsterdam spazieren gehen, wenn nicht seine Frau und seine Schwester kontinuierlich abgehört worden wären. Flackernd läuft ein Satz des italienischen Justizministers über den Bildschirm: Mit der Abschaffung des Abhörgesetzes werde die europäische Menschenrechtskonvention endlich auch in Italien respektiert. Und Macrì sagt: Tja.

Wenn es in Erfurt nicht diese Straßennamen gäbe, Juri-Gagarin-Ring und Clara-Zetkin-Straße, man könnte meinen, die Stadt sei gerade erst ausgepackt worden, als habe sie vakuumverschweißt das letzte Jahrhundert überstanden. Häuser, Straßenzüge, Plätze, Fassaden und Portale – alles strahlt hier frisch und gleichzeitig so historisch, als habe man soeben erst die Folie von der Stadt gezogen.

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