Petra für die PETRA (heute: Freundinnen)

Conny Liedtke und ich waren das, was man beste Freundinnen nannte, unsere Wohnungen grenzten im Erdgeschoss aneinander, wo ich mit meiner Mutter wohnte und Conny mit ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder. Conny und ich waren unzertrennlich, wir waren gleichaltrig, trugen die gleiche Frisur (die Haare zu einem kleinen Knoten hochgebunden), die gleichen Schuhe (sonntags Lackschuhe mit Riemchen und kleinem Absatz), den gleichen silbernen Freundschaftsring (mit einem kleinen roten Marienkäfer) und besuchten die gleiche Schule. Ahnungslose Erwachsene hielten uns für zwei kleine Mädchen, die mit Puppen spielten, tatsächlich waren wir zwei Supermächte, spezialisiert auf psychologische Kriegsführung.

Es hatte damit begonnen, dass Conny am ersten Schultag einen roten Mädchen-Tornister trug, ich hingegen einen soliden braunen. Natürlich war ich neidisch auf Connys roten Tornister – was ich selbst dann nicht zugegeben hätte, wenn man mir jeden Fingernagel einzeln herausgezogen hätte: Nie dem Gegner eine Flanke zeigen! Stattdessen wies ich darauf hin, dass mein Tornister in Hamburg gekauft worden war, in einer echten Großstadt, von deren Existenz Conny zu diesem Zeitpunkt nichts ahnte, geschweige denn, sie besucht hätte. In der Feldherrenkunst nennt man so etwas: Sieg durch Demoralisierung des Gegners.

Ständig waren wir auf der Suche nach operativen Informationen, die wir im Kriegsfall einsetzen konnten. Dazu gehörte das Wissen um die Schwächen des Gegners, etwa dass Conny Liedtke darunter litt, rote Haare zu haben und lieber blond gewesen wäre, weshalb sie, wenn ich ihre Haare mit rotem statt mit gelbem Filzstift malte, drei Tage lang nicht mit mir sprach und sich damit rächte, mir triumphierend „Deine Mutter ist ja eine Witwe!“ entgegenzuschleudern, was allerdings folgenlos verpuffte, weil ich nicht begriff, was daran schlimm sein sollte. Conny konnte schneller rennen als ich, ich besiegte Conny beim Stadt-Land-Fluss-Spielen: Stadt mit A: Allenstein, Fluss mit A: die Alle, was mir zehn Punkte und Connys Neid einbrachte, die lediglich auf Aachen und Alster kam, was magere fünf Punkte wert war. Jedes Mal wurde lange darum gefeilscht, ob ich eine Stadt und einen Fluss geltend machen könnte, deren Existenz ich nicht beweisen konnte, weil sich die Alle und Allenstein in Ostpreußen befanden, einem Land, dass schon untergegangen war, als ich noch gar nicht geboren war. Ich beneidete Conny um ihren deutsch klingenden Nachnamen, revanchierte mich aber damit, dass ich mich mit meinem russischen Urgroßvater brüstete. Ihre Verwandtschaft reichte nur bis Essen, wo ein Onkel wohnte.

Wenn wir allein waren, waren wir so etwas wie die USA und Russland oder China und Japan, oder Irak und Iran, aber wenn man uns angriff, schlossen wir uns blitzschnell zu Alliierten zusammen, vor allem wenn es darum ging, Connys kleinen Bruder loszuwerden, dem wir Wäscheklammern an die Ohrläppchen klemmten, bis er weinend zurück nach Hause lief. Oder wenn es um die frechen Fritsches aus der Fritz-Erler-Straße ging, fünf Geschwister, die allein auf Stärke setzten: Gegen sie wendeten wir alle Propagandatricks an, die wir gelernt hatten, weshalb wir ihren Kampfeswillen schnell brechen konnten.

Später, als wir größer wurden, verwandelte sich meine kämpferische, rothaarige Freundin Conny in eine nachgiebige, blonde Ehefrau, und wir verloren uns aus den Augen. Aber den Freundschaftsring mit dem kleinen roten Marienkäfer, den habe ich heute noch.

(Erschienen in PETRA 10/2016) Näheres zu Kolumnen hier.

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