Un grande. In memoriam Dario Fo

Gestern starb Dario Fo, den ich 2004 dank eines Interviews für Die Zeit kennenlernte – und den ich heute für Die Zeit noch einmal mit einem Nachruf gewürdigt habe.

Sein Vater war Sozialist, ein Cousin Anarchist, aufgewachsen ist er am Lago Maggiore, in einer Gegend Italiens, die auf ihre Tradition des Geschichtenerzählens stolz ist: Wer die Autobiografie von Dario Fo las, hatte den Eindruck, dass er gar keine andere Wahl hatte, als ein linker Theatermann zu werden – aber das zu einer Zeit, als es noch Mut bedurfte, links zu sein, wie er stets unterstrich.

1926 wurde Dario Fo in dem Dorf Saniano in der Lombardei geboren und wuchs in der Gegend um den Lago Maggiore auf. Schon sein Großvater war ein legendärer fabulatore, ein Geschichtenerzähler – in diese Tradition stellte sich auch sein Enkel Dario Fo.

Er war ein Partisan – und das bis zu seinem Tod, ein Partisan der Freiheit, einer derjenigen, die man in Italien bewundernd „un grande“ nennt – einer, der sich vor nichts und niemandem fürchtete: Nicht vor dem Vatikan, nicht vor der Mafia und nicht vor den vermeintlich Wohlgesinnten mit dem guten Geschmack, die dagegen protestiert hatten, dass ihm 1997 der Nobelpreis verliehen worden war.

Die einzigen, die ihm Sorge machten, waren die „Abwesenden“, die Desinformierten, Produkte jahrzehntelanger berlusconischer Gehirnwäsche – „die Trägen“, wie er es mit Dante sagte. So nannte er diejenigen, die nicht am öffentlichen Leben teilnehmen.

„Kunst ist ein Bewusstseinskatalysator“, sagte Dario Fo. Und unterstrich gleichzeitig, dass es mit Kunst allein nicht getan ist: „Aber um zum Katalysator werden zu können, bedarf es konkreter Handlungen – ein Kunstwerk allein kann nichts verändern“. Und deshalb kandidierte er 2006 für das Bürgermeisteramt in Mailand, erzielte einen Achtungserfolg mit über 23 Prozent und schloss sich fortan der Fünfsterne-Bewegung an, die er von ihren Anfängen an begleitete: 2013 erschien das Buch „Die Grille singt immer am Abend“, in dem Dario Fo mit den Gründern Beppe Grillo und Gianroberto Casaleggio über Italien, die Demokratie und über die Fünfsterne-Bewegung sprach.

„Mit Euch habe ich den Eindruck, wieder in die Zeit Ende des letzten Weltkriegs zurückkatapuliert worden zu sein. Damals waren wir glücklich wie ihr heute, voller Freude, wir hatten die Hoffnung, nein, wir waren sicher, dass es zu einem Wandel käme – leider haben wir das nicht geschafft. Jetzt seid Ihr dran! Bitte, stürzt alles um! Macht Ihr das“, rief er 2013 in Mailand.

Bis zuletzt war Dario Fo eine zentrale Figur Italiens – nicht nur des italienischen politischen Theaters, sondern stets auch einer der Protagonisten im politischen Kampf – ob es gegen Berlusconis Meinungsmonopol und um dessen Mafiaverstrickungen ging oder die Nachgiebigkeit der italienischen Opposition in den Jahren von Berlusconis Herrschaft: Dario Fo hielt nie den Mund – was ihm en Auftrittsverbot im italienischen Fernsehen einbrachte.

In den Berlusconijahren war er einer der wenigen, die darauf hinwiesen, wie bequem sich die italienische Linke im Schatten Berlusconis eingerichtet hatte: „Die Oppositionsparteien müssen sich bewegen. Ohne wieder den Fehler zu begehen, Kompromisse einzugehen, sich zu arrangieren. Wer einen Dialog mit der Berlusconi-Regierung eingeht, wird übers Ohr gehauen. Besonders die katholische Linke hat immer die Tendenz, den Kampf zu bremsen und den Einklang zu suchen“, sagte er. Und fügte hinzu: „Man kann nicht den Stein in den Teich werfen und sich zurückziehen, wenn die Wellen kommen. Man muss auf dem Wellenkamm reiten, sonst ertrinkt man.“

Ein Leben lang stand Dario Fo zusammen mit seiner Frau, der vor drei Jahren verstorbenen Schauspielerin Franca Rame, auf der Bühne. Er schrieb fast hundert Theaterstücke, die für ihn unzählige Prozesse zur Folge hatten: Verklagt wurde er von fast jedem italienischen Machtmonopolisten – vom italienischen Staat über das öffentlich-rechtliche Fernsehen bis zum Vatikan.

Vor mehr als Jahren stand er mit dem Theaterstück „Der anormale Doppelkopf“ auf der Bühne: Putins Hirn wird in Berlusconis Kopf verpflanzt. Warum ausgerechnet Putin, wurde er gefragt, wäre nicht ein friedfertiges Hirn wie das vom Dalai Lama besser geeignet gewesen, um in Berlusconi eingepflanzt zu werden?
„Nein“, sagte Dario Fo, „Putins Hirn ist das richtige, damit ein Phänomen eintreten kann, das aus der Physik bekannt ist: Aus zwei negativen Kräften entsteht eine positive. Durch diesen Eingriff gelingt es, Berlusconis Charakter grundlegend zu verändern.“

Kurz danach wurde er wegen Verleumdung angeklagt. Berlusconi forderte eine Million Euro. Seine Anwälte warfen Dario Fo vor, in seinem Stück auf die Mafia-Kontakte von Berlusconi und seiner rechten Hand Marcello Dell’Utri anzuspielen – der heute im Gefängnis sitzt, wegen Unterstützung der Mafia.
Gestern starb der Nobelpreisträger mit 90 Jahren in einer Mailänder Klinik – beweint von ganz Italien: „Dario war nicht einfach ein freier Mensch, er war die personifizierte Freiheit“, sagte Beppe Grillo über seinen Freund und Weggefährten.
„Ich mache dem Tod nicht den Hof, aber ich fürchte ihn nicht“, sagte Dario Fo.

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