Buon Natale! Schöne Weihnachten!

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Ja, wie fühlt es sich wohl an, als zum Tode Verurteilter das Weihnachtsfest zu verbringen, mit seiner Familie, den Kindern? Nein, das ist keine Fortsetzung von Palermo Connection, sondern bittere Wirklichkeit für Staatsanwalt Nino di Matteo, über den ich in diesem Blog schon öfter geschrieben habe, zuletzt hier und hier.

Der in Hochsicherheitshaft sitzende Mafiaboss Totò Riina rief vor einem Jahr zum Mord gegen Nino Di Matteo auf. Was macht Nino di Matteo für die Mafia so gefährlich? Er führt in Palermo den Prozess der Trattativa: ein Prozess, der klären soll, ob Politiker und hochrangige Staatsbeamten Anfang der 1990er Jahre mit der Mafia verhandelten – und die beiden Antimafia-Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino opferten, weil ihre Ermittlungen ein Hindernis für diese Verhandlungen waren.

Seitdem besteht Di Matteos Leibwache aus 42 Carabinieri: Neun Carabinieri, die ihm auf Schritt und Tritt folgen, dreiunddreißig, die sein Haus bewachen und die Straßen in Palermo kontrollieren, auf denen der Staatsanwalt mit drei gepanzerten Limousinen unterwegs ist. Ein abtrünniger Mafioso enthüllte vor kurzem, dass die Vorbereitungen für das Attentat bereits ganz konkret sind: Er selbst habe 150 Kilo Sprengstoff für das Attentat an Nino di Matteo besorgt. Hinter dem Attentat stehe nicht nur Totò Riina, sondern auch der seit Jahrzehnten flüchtige Mafiaboss Matteo Messina Denaro – und seine römischen Freunde. Die gleichen, die hinter der Ermordung von Giovanni Falcone und Paolo Borsellino standen. Der Sprengstoff sei von kalabrischen Ndranghetisti gekauft worden, auch darin eine Parallele zum Attentat an Giovanni Falcone.

Die Geständnisse dieses Abtrünnigen sind nicht die irgendeines kleinen Vorstadtkillers, sondern die eines Mafiosos, der zur sogenannten „Aristokratie“ der Mafia gehört: Sein Vater sitzt in lebenslänglicher Haft, weil er an einer Reihe von sogenannten „exzellenten Morden“ beteiligt war, an den Morden am General Dalla Chiesa, an dem Ermittler Ninni Cassarà – und sogar an dem misslungenen Attentat von Addaura gegen Giovanni Falcone, das von der Mafia in (bewährter) Kooperation mit  den Geheimdienste ausführt wurde.

Sinn der mafiosen Drohungen ist, dem italienischen Staat eine Lehre zu erteilen und dafür zu sorgen, dass die Münder der Beteiligten an der Trattativa weiterhin verschlossen bleiben – was offenbar bestens funktioniert: Von den italienischen Politikern kam kein einziges Wort der Solidarität für Nino di Matteo, keine Anteilnahme, nichts. Der ansonsten so redselige und besinnungslos zwitschernde Ministerpräsident Matteo Renzi schweigt und hat nicht mal einen winzigen Tweet für den bedrohten Staatsanwalt übrig, Staatspräsident Napolitano, der ansonsten nahezu täglich eine Ermahnung in die Welt bläst, schweigt auch. Ebenso der Senatspräsident Piero Grasso, der, Ironie des Schicksals, bis vor kurzem Chef der Antimafia-Staatsanwaltschaft von Palermo war, also praktisch Di Matteos Vorgesetzter. Ebenso wenig kommt über die Lippen der ansonsten sich immer auf die Seite der Bedrängten werfenden Parlamentspräsidentin Laura Boldrini: Wenn es darum geht, die Fünfsterne-Bewegung zu geißeln, sprudelt sie über. Aber wenn es um ein Wort für einen zum Tode verurteilten Antimafia-Staatsanwalt geht, schweigt auch sie.

Der Schauspieler und Antimafia-Aktivist Giulio Cavalli hat vor kurzem ein kurzes Video gedreht, eine Ansprache an den sich immer so lässig und hemdsärmelig gebenden „Matteo“ (Renzi): „Tun wir so, als sei die Bombe für Nino Matteo schon explodiert“, sagt er – und zählt all das auf, was gemeinhin nach einem „exzellenten Mord“ geschieht und viele Italiener bereits oft miterlebt haben: Sondersendungen, öffentliche Entrüstung, Expertenbefragungen, Direktübertragungen auf Rai Uno, Schlagzeilen in der ganzen Welt, explodierender Volkszorn bei der Trauerfeier. Ja, wie konnte es passieren? Warum wurde Nino Di Matteo allein gelassen? Ja, warum?

Weil sich das seit Jahrzehnten herrschende mafios-politische Machtkartell in der gleichen prekären Lage befindet, wie Anfang der 1990er Jahre, als Falcone und Borsellino umgebracht wurden. Damals waren die politischen Parteien durch die geopolitischen Verwerfungen infolge des Mauerfalls und durch den Korruptionsskandal „Saubere Hände“ den Orkus heruntergegangen, die Mafia war vorübergehend des Ansprechpartners verlustig gegangen. Also griff man zu härteren Bandagen, zu Staatsterrorismus in den Gewändern von Mafia-Attentaten, zu der seit den 1970er Jahren bewährten „Strategie der Spannung“. Die dafür sorgen sollte, die Italiener dazu zu bringen, nach einem starken Mann zu rufen, dem Mann der Vorhersehung: B.

Ähnliches ist jetzt zu beobachten: offene Terrordrohungen gegen die Staatsanwälte, die an dem Fundament zweiten italienischen Republik rütteln, den Verhandlungen zwischen Staat und Mafia, Festnahmen von  rechtsextremen Terroristen, die angeblich Attentate geplant haben, die politische Situation ist unübersichtlich, B. gibt es noch immer, an der Seite von Renzi, weshalb in Italien jetzt einer regiert, der so aussieht. images

Überdies gibt es auch noch die Fünfsterne-Bewegung, die es zu neutralisieren gilt – um so mehr, als der Garant der Machtverhältnisse, Staatspräsident Napolitano, der alte, weise Mann vom Quirinalshügel (Copyright: SZ) im Januar in Ruhestand geht – kurz vor seinem 90. Geburtstag. Was aber nicht bedeutet, dass er die Zügel aus der Hand gleiten ließe. Gerade hat er es noch geschafft, einen ihm genehmen neuen Generalstaatsanwalt für die Antimafia-Staatsanwaltschaft Palermo zu berufen. Damit das endlich ein Ende hat, mit den unbequemen Staatsanwälten. Und wenn das immer noch nicht wirkt, dann zündet irgendein irrer Einzeltäter (remember: Oktoberfest 1984) eben eine Bombe.

Wie gut, dass es keine Mafia gibt, in Deutschland. Jedenfalls nicht aktiv. Nur so passiv. Auf Sommerfrische. Bis zum nächsten Einsatz. Sagt man so. Oder haben Sie schon mal einen deutschen Politiker gehört, der das Wort „Mafia“ in den Mund genommen hätte?

Schöne Weihnachten.

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