Mal Italiener, mal Eskimos

  • „Es mag ja Koryphäen geben, die nach einem vierwöchigen Sprachkurs Italien verstehen. Ich gehöre nicht dazu. Ich habe erst nach  fünf Jahren angefangen, Italiens Wirklichkeit zu begreifen. Dass auch ich erst wenig von Italien verstand, fiel aber meistens nicht weiter auf, weil die Redaktionen an die unzähligen Gemeinplätze gewöhnt sind, die seit Jahrzehnten weggedruckt werden – und eigentlich eher dazu neigen, ungehalten zu reagieren, wenn man einen Themenvorschlag macht, der sich dieser Wahrnehmung widersetzt: “Davon haben wir noch nie gehört. ”

Das schrieb ich im März in diesem Blog – über die Schwächen der Italienberichterstattung (im übrigen nicht nur der deutschen, die Copy&Paste-Methode aus RepubblicaCorriereLaStampaIlGiornale ist bei vielen Auslandskorrespondenten beliebt)  habe ich in diesem Blog schon mehrmals geschrieben. Zum Beispiel hier oder hier, beide sind posts, die – leider – nach wie vor aktuell sind. Vor allem meine Ablehnung der Regel Nummer eins der Auslandskorrespondenten, die uns der Auslandschef der New York Times im Lichtjahre entfernten Jahr 1987  in den Block diktierte:

  • „Kein Korrespondent sollte länger als maximal fünf Jahre über ein Land berichten. Bliebe er länger in dem Land, liefe er Gefahr, sich mit dem Land gemein zu machen und den wertvollen “Blick von außen” zu verlieren. Korrespondenten also als eine Art diplomatisches Korps samt extraterritorialer Existenz – Journalisten, die im Diplomatenstatus leben und auf die wundersamen Sitten und Gebräuche des Völkchens um sie herum blicken, mal sind es Eskimos, mal Italiener.“

Der Blick auf Italien ändert sich, wenn man länger bleibt. Und sich gelegentlich daran erinnert, wie es war. Etwa, dass die 63 Nachkriegsregierungen keineswegs ein Zeichen für die Unbeständigkeit der italienischen Regierungen sind, sondern das exakte Gegenteil, die Regierungen ändern sich, aber die Gesichter der Politiker sind seit Jahrzehnten die gleichen. Der kürzlich verstorbene Senator auf Lebenszeit Giulio Andreotti war an 33 Regierungen beteiligt, sieben Mal davon als Ministerpräsident. Der jetzige italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano gehört seit 1953 (!) dem italienischen Parlament an, darunter als Parlamentspräsident und Innenminister. Und selbst der von der italienischen Regimepresse mit dem Etikett „Hoffnungsträger“ beklebte Matteo Renzi ist keineswegs ein Newcomer, sondern bewegt sich seit 1999 in den trüben Gewässern der italienischen Politik, als er Provinzsekretär des Partito Popolare wurde.

Oder die Geschichte vom tapferen Kampf der „linken“ Pd gegen den bösen, bösen B.: ein Märchen, das von vielen Auslandskorrespondenten bereitwillig übernommen und verbreitet wurde, weil es eine so schöne Geschichte ist. David gegen Goliath. Eine der vielen Spinne-in-der-Yucca-Palme-Geschichten, die über Italien kursieren, ich habe vor langer Zeit darüber geschrieben.

Und selbst das in der Not praktizierte Copy-Paste in der Italien-Berichterstattung wäre kein Problem – wenn die Quellen denn genannt und hinzugefügt würde, wem die Zeitungen gehören und wessen politische Interessen sie vertreten. 

Nach den Beschimpfungen, die die 5-Sterne-Bewegung seitens ihrer politischen Gegner erleiden musste, hat Il Fatto Quotidiano gestern übrigens die Ausfälle und Beschimpfungen der 5-Sterne-Bewegung aufgereiht. Nur so, als Ausgleich. Denn auch unter den Anhängern der 5-Sterne-Bewegung gibt es Idioten, wie überall auf der Welt.

Die Abgeordneten und Senatoren der 5-Sterne-Bewegung unterscheiden sich aber (vorerst) dadurch, dass sie nicht mit der Mafia zusammenarbeiten, keine Vorstrafen haben und nicht wegen Korruption, Amtsmissbrauchs, Veruntreuung, Richterbestechung, Steuerbetrugs, Förderung der Prostitution Minderjähriger, Meineids, Bilanzfälschungen, Schmiergeldzahlungen oder illegaler Parteienfinanzierung angeklagt oder verurteilt sind.

Es ist die erste, echte Opposition in Italien. Seit zwanzig Jahren.

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